Narkosemord
toxikologischen Bericht nicht aufgetaucht ist.«
»Diese ganze Sache macht mir angst«, sagte Kelly.
»Mir auch«, pflichtete Jeffrey ihr bei. Als nächstes fragte er sie, ob sie jemanden in der Pathologie im Valley Hospital kenne.
»Nein«, erwiderte Kelly, »aber ein paar von den Anästhesisten. Hart Ruddock war Chris’ bester Freund. Er kennt bestimmt irgend jemanden in der Pathologie.«
»Könntest du ihn anrufen und ihn fragen, ob er bereit wäre, Kopien von sämtlichem Material zu besorgen, das die Pathologieabteilung über Henry Noble hat? Besonders interessiert wäre ich an EM-Studien oder histologischen Untersuchungen seines Nervengewebes.«
»Was soll ich sagen, wenn er fragt, was ich damit will?«
»Ich weiß nicht. Sag ihm, du würdest gerade Chris’ Aufzeichnungen lesen, und dort stünde, daß bei Henry Noble eine axonale Entmarkung vorgelegen habe. Das dürfte seine Neugier wecken.«
»In Ordnung«, erwiderte Kelly. »Und du kommst besser gleich hierher zurück und ruhst dich erst mal aus. Du mußt ja fast im Stehen einschlafen.«
»Stimmt, ich bin ganz schön kaputt«, gestand Jeffrey. »Putzen ist tausendmal anstrengender, als eine Narkose zu machen.«
Früh am Morgen schlenderte Trent durch den OP-Korridor des St. Joseph’s. Die manipulierte Ampulle hatte er erneut in der Unterhose versteckt. Er ging exakt genauso vor wie am gestrigen Tag. Besonderes Augenmerk richtete er darauf, daß niemand in der Nähe der Hauptapotheke war, ehe er darin verschwand, um die Ampullen zu vertauschen. Da jetzt nur noch zwei Ampullen mit 0,5prozentigem Marcain in der offenen Schachtel lagen, standen die Chancen, daß seine Ampulle benutzt würde, sehr günstig, zumal da er von zwei Epiduralfällen auf der großen Tafel gelesen hatte. Natürlich gab es keine Garantie, daß Marcain verwendet wurde, und erst recht nicht, daß es das 0,5prozentige sein würde. Aber die Wahrscheinlichkeit war groß. Bei den beiden geplanten Epiduralfällen handelte es sich um eine Herniotomie und um eine Laparoskopie. Wenn seine Ampulle für einen der beiden Eingriffe gebraucht werden sollte, dann, so hoffte Trent, daß es die Laparoskopie sein würde. Das würde seinen Triumph perfekt machen; dieses selbstgefällige Arschloch Doherty war bei diesem Eingriff als Anästhesist vorgesehen.
Trent schlenderte lässig zurück zum Umkleideraum und versteckte die saubere Ampulle in seinem Spind. Als er die Tür zuzog und abschloß, dachte er an Gail Shaffer. Sie fertigzumachen hatte ihm nicht so viel Spaß gebracht, wie er vorher gedacht hatte, aber in gewisser Weise war er doch dankbar für die Erfahrung als solche. Die Tatsache, daß Gail ihn ertappt hatte, hatte ihm deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es war, allzeit wachsam zu sein. Er durfte sich keine Nachlässigkeit erlauben. Zuviel stand auf dem Spiel. Wenn man ihn erwischte, konnte er sich beerdigen lassen. Trent vermochte sich des Gefühls nicht erwehren, daß in dem Fall die Behörden noch die geringste seiner Sorgen sein würden.
Der Radiowecker war auf WBZ eingestellt und läutete um Viertel vor sieben. Die Lautstärke war so niedrig, daß Karen in Etappen aufwachte. Schließlich öffnete sie die Augen.
Sie rollte sich herum und setzte sich auf die Bettkante. Sie fühlte sich noch immer benommen von dem Schlafmittel, das Dr. Silvan ihr am Abend gegeben hatte. Das Dalman hatte besser gewirkt, als sie gedacht hatte.
»Bist du schon auf?« rief Marcia durch die geschlossene Tür.
»Ja, bin gerade wach geworden!« rief Karen zurück. Sie rappelte sich mit zitternden Knien von der Bettkante auf. Ein Schwindelgefühl überkam sie, und sie mußte sich einen Moment lang am Bettpfosten festhalten. Nach ein paar Sekunden war der Schwindel weg. Sie ging ins Badezimmer.
Obwohl ihr Mund pelzig war und ihre Kehle trocken, achtete Karen sorgfältig darauf, daß sie beim Zähneputzen kein Wasser schluckte. Dr. Silvan hatte ihr das nachdrücklich eingeschärft.
Karen wünschte, es wäre schon Abend und der Tag vorüber. Dann würde ihre Operation jetzt bereits hinter ihr liegen. Sie wußte, daß es albern war, aber sie hatte trotzdem Angst. Das Dalman konnte daran auch nichts ändern. Sie bemühte sich, ihre Gedanken auf das Duschen und das Anziehen zu konzentrieren.
Marcia fuhr sie zum Krankenhaus. Während des ersten Teils der Fahrt tat sie ihr Bestes, um sie abzulenken. Aber Karen war zu zerstreut, um sich auf irgendein Gespräch zu konzentrieren. Als sie
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