Narkosemord
Narkose sorgt für optimale Muskelentspannung, was Dr. Silvan bei seiner Untersuchung sehr helfen wird«, erklärte er. »Außerdem ist eine Epiduralanästhesie sicherer als eine Vollnarkose.«
Karen nickte. Dann fragte sie: »Sind Sie auch sicher, daß es funktionieren wird und daß ich ganz bestimmt nichts spüre, wenn die da in mir herummachen?«
Dr. Doherty drückte beruhigend ihren Arm. »Sie werden garantiert nicht das geringste spüren. Und soll ich Ihnen was sagen: Jeder hat Angst, daß ausgerechnet bei ihm die Narkose nicht wirkt, wenn er sie zum erstenmal kriegt. Aber sie wirkt immer. Also, keine Sorge, okay?«
»Kann ich Sie noch was fragen?«
»Soviel Sie wollen«, antwortete Dr. Doherty.
»Haben Sie schon mal das Buch Koma gelesen?«
Dr. Doherty lachte. »Na klar, und den Film hab’ ich auch gesehen.«
»Und so was wie dort passiert wirklich niemals?«
»Aber nein! So was passiert nur im Film«, versicherte er ihr. »Noch weitere Fragen?«
Karen schüttelte den Kopf.
»Na prima, dann ist ja alles in Ordnung«, meinte Dr. Doherty. »Ich sage der Schwester, sie soll Ihnen eine kleine Spritze zur Beruhigung geben. Danach werden Sie sich ein bißchen schläfrig fühlen. Und dann, sobald wir hören, daß Ihr Arzt im Umkleideraum ist, lasse ich Sie in den OP bringen. Und nochmals, Karen, Sie werden wirklich nicht das geringste spüren. Sie können mir vertrauen. Ich habe das schon zigtausendmal gemacht.«
»Ich vertraue Ihnen«, sagte Karen. Sie brachte sogar ein mattes Lächeln zustande.
Dr. Doherty verließ den Warteraum und ging durch die Schwingtüren in den OP-Trakt. Er schrieb eine Anweisung für Karens Beruhigungsspritze und begab sich dann ins Anästhesie-Dienstzimmer, um seine Tagesnarkotika zu holen. Anschließend machte er sich auf den Weg zur Zentralapotheke.
In der Zentralapotheke suchte er sich ein paar Ampullen mit Infusionslösungen heraus und griff dann, die Flaschen in der einen Hand haltend, in die offene Schachtel mit dem 0,5prozentigen Marcain und nahm eine der beiden noch darin befindlichen Ampullen heraus. Pingelig, wie er in solchen Dingen stets war, prüfte er das Etikett. Es war 0,5prozentiges Marcain. Was Dr. Doherty freilich nicht bemerkte, war die winzige Unebenheit am Hals der Ampulle, dem Teil, den er abbrechen würde, wenn er die Spritze aufzog.
Annie Winthrop war müder als gewöhnlich, als sie den Gehweg zum Eingang ihres Apartmenthauses entlangstapfte. Sie hatte ihren Schirm aufgespannt, um sich gegen den strömenden Regen zu schützen. Die Temperatur war innerhalb weniger Stunden in den Keller gegangen; man hätte eher meinen können, der Winter stehe vor der Tür, als daß es bald Sommer werden würde.
Was war das für eine Nacht gewesen! Drei Herzstillstände auf der Intensivstation. Das war der bisherige Jahresrekord. Die Versorgung der drei Herzstillstände und die Betreuung der anderen Patienten hatten alle bis an den Rand der Erschöpfung beansprucht. Alles, was sie jetzt wollte, war eine schöne heiße Dusche und ihr warmes Bett.
Vor ihrer Wohnungstür angekommen, suchte sie nach dem richtigen Schlüssel am Bund und ließ ihn dabei fallen. Die Erschöpfung machte sie unbeholfen. Sie bückte sich, hob den Schlüsselbund vom Boden auf und steckte den Wohnungsschlüssel ins Schloß. Als sie ihn drehen wollte, merkte sie, daß die Tür bereits aufgesperrt war.
Annie stutzte. Sie und Gail schlossen immer ab, selbst wenn sie zu Hause waren. Das war eine feste Regel, über die sie bei ihrem Einzug eigens diskutiert hatten.
Mit einem Gefühl banger Vorahnung drehte Annie am Türknauf und drückte die Tür auf. Im Wohnzimmer brannte Licht. Ob Gail zu Hause war?
Ihre Intuition ließ sie auf der Schwelle verharren. Irgend etwas stimmte da nicht. Aber es waren keine Geräusche zu hören. Totenstille lag über der Wohnung.
Annie stieß die Tür ein Stück weiter auf. Alles schien in Ordnung zu sein. Sie trat über die Schwelle. Sofort schlug ihr ein scheußlicher Geruch entgegen. Annie war lange genug Krankenschwester, um diesen Geruch zur Genüge zu kennen.
«Gail?« rief sie. Normalerweise schlief Gail, wenn sie nach Hause kam. Annie ging zur Tür von Gails Schlafzimmer und schaute hinein. Auch hier brannte Licht. Der Geruch wurde stärker. Sie rief erneut Gails Namen, dann trat sie durch die Tür. Die Tür zum Bad stand offen. Annie ging zum Bad und schaute hinein. Sie stieß einen gellenden Schrei aus.
Trent war für diesen Tag zum Dienst in OP 4
Weitere Kostenlose Bücher