Narkosemord
schließlich auf dem Klinikparkplatz hielten, hatten sie schon eine ganze Weile schweigend nebeneinandergesessen.
»Du hast ein bißchen Angst, nicht?« brach Marcia schließlich das Schweigen.
»Ich kann nichts dafür«, sagte Karen. »Ich weiß, daß es albern ist.«
»Ach was, das ist überhaupt nicht albern«, erwiderte Marcia. »Aber ich garantiere dir, du wirst nicht das geringste spüren. Die Schmerzen kommen erst später. Doch selbst dann wird es viel leichter sein, als du jetzt glaubst. Das Schlimmste ist immer die Angst vorher.«
»Hoffentlich hast du recht.« Es gefiel Karen gar nicht, daß das Wetter umgeschlagen war. Es hatte wieder angefangen zu regnen. Der Himmel sah genauso trübe aus, wie sie sich fühlte.
Die Klinik hatte einen speziellen Eingang für Tagespatienten. Karen und Marcia mußten eine Viertelstunde mit mehreren Dutzend anderen Leuten im Wartezimmer warten. Es war leicht, die Patienten aus der Menge herauszupicken. Statt, wie die anderen, ihre Zeitschriften zu lesen, blätterten sie sie lediglich nervös durch.
Bei Karen war es bereits die dritte Zeitschrift, als sie an einen Schreibtisch gerufen und von einer Krankenschwester begrüßt wurde. Die Schwester ging noch einmal alle Papiere durch und vergewisserte sich, daß alles seine Richtigkeit hatte. Karen war am Tag zuvor bereits zum Bluttest und zum EKG dagewesen. Die Einverständniserklärung war unterschrieben. Ein mit einer Kenn-Nummer bedrucktes Armband lag schon bereit. Die Schwester half Karen, es anzulegen.
Karen bekam ein OP-Hemd und einen Bademantel ausgehändigt und wurde zu einer Umkleidekabine geführt. Sie spürte, wie ein Anflug von Panik in ihr aufwallte, als sie auf die Trage kletterte und in einen Warteraum geschoben wurde. Marcia durfte jetzt noch einmal für einige Minuten zu ihr herein.
Marcia hielt die Tasche mit Karens Kleidern. Sie versuchte, Karen mit ein paar humorvollen Bemerkungen aufzumuntern, aber Karen war zu angespannt, um darauf einzugehen. Ein Krankenpfleger kam, warf einen kurzen Blick auf die Karte am Fußende von Karens Trage und auf die Kenn-Nummer auf ihrem Armband und sagte: »Dann wollen wir mal.«
»Ich warte hier auf dich!« rief Marcia Karen nach, als sie weggerollt wurde. Karen winkte ihr noch einmal zu, dann ließ sie den Kopf auf das Kissen fallen. Sie erwog einen Moment lang ernsthaft, dem Pfleger zu sagen, er solle anhalten, damit sie von der Trage steigen könne. Sie konnte zurück in den Umkleideraum gehen, sich ihre Sachen von Marcia geben lassen, sich wieder umziehen und nach Hause zurückfahren. Die Endometriose war so schlimm nun auch wieder nicht. Sie hatte schließlich schon eine ganze Zeit recht gut damit gelebt.
Aber sie tat nichts dergleichen. Ihr war, als wäre sie bereits hilflos gefangen in einem unaufhaltsamen Räderwerk von Ereignissen, die unerbittlich ihren Lauf nehmen würden, ganz gleich, was sie auch machen würde. An irgendeinem Punkt während des Entscheidungsprozesses, an dem sie sich zu der Laparoskopie durchgerungen hatte, hatte sie ihre Entscheidungsfreiheit verloren. Sie war Gefangene des Systems. Die Tür des Aufzugs glitt zu. Sie fühlte, wie der Fahrstuhl sie aufwärts trug, und damit war auch der letzte Fluchtweg abgeschnitten.
Der Pfleger ließ Karen in einem Warteraum zurück, in dem etwa ein Dutzend weiterer OP-Tragen wie ihre standen. Sie blickte verstohlen zu den anderen Patienten. Die meisten lagen ruhig und mit geschlossenen Augen da. Ein paar schauten herum wie sie, aber sie sahen nicht so ängstlich aus, wie sie sich jetzt fühlte.
»Karen Hodges?« rief eine Stimme.
Karen wandte den Kopf. Ein Arzt in einem OP-Kittel stand neben ihrer Trage. Er war so plötzlich aufgetaucht, daß sie nicht gesehen hatte, woher er gekommen war.
»Ich bin Dr. Bill Doherty«, stellte er sich vor. Er war etwa so alt wie ihr Vater, hatte einen Schnauzbart und freundliche braune Augen. »Ich bin Ihr Anästhesist.«
Karen nickte. Dr. Doherty ging noch einmal ihre Krankengeschichte durch. Es dauerte nicht lange; viel gab es da nicht. Er stellte ihr die üblichen Fragen nach Allergien und früheren Krankheiten. Dann erklärte er ihr, daß ihr Arzt um Epiduralanästhesie gebeten habe.
»Sind Sie mit Epiduralanästhesie vertraut?« fragte Dr. Doherty.
Karen antwortete, daß ihr Arzt sie ihr erklärt habe. Dr. Doherty nickte, schilderte ihr aber noch einmal jeden Schritt und betonte ihre besonderen Vorteile bei einem Fall wie dem ihren. »Dieser Typ von
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