Narkosemord
Autopsieberichte von zwei der anderen vier Fälle angeschaut. Beide Male waren die Ergebnisse negativ.«
»Wie lauteten die Namen der vier Fälle?« fragte Seibert und nahm einen Stift und einen Block zur Hand.
»Patty Owen, Henry Noble, Clark DeVries und Lucy Havalin«, sagte Jeffrey. »Ich habe die Autopsieberichte von Owen und Noble gelesen.«
»Die Namen sagen mir im Moment nichts. Ich muß mal nachschauen, was wir darüber in den Akten haben.«
»Besteht die Chance, daß noch irgendwelche Körperflüssigkeiten von einem dieser Fälle vorhanden sind?« fragte Jeffrey.
»Wir bewahren tiefgefrorene Proben von ausgewählten Fällen ungefähr ein Jahr auf. Welcher dieser Fälle liegt am kürzesten zurück?«
»Patty Owen«, sagte Jeffrey. »Wenn Sie Serum kriegen würden, könnten Sie dann ein paar Toxintests vornehmen?«
»Sie stellen sich das so einfach vor«, antwortete Seibert. »Wie ich schon sagte, es ist unheimlich schwer, ein Toxin zu finden, wenn Sie nicht gerade das Glück haben, das spezifische Antitoxin in irgendeiner markierten Form zu haben. Sie können nicht einfach so nach dem Schrotschußverfahren eine bunte Mischung Antitoxine ausprobieren und auf einen Glückstreffer hoffen.«
»Gibt es denn irgendeinen Weg, das Spektrum an Möglichkeiten einzugrenzen?«
»Mag sein«, sagte Seibert. »Vielleicht könnte man versuchen, das Problem von einer anderen Seite anzugehen. Angenommen, es ist wirklich ein Toxin im Spiel, wie hätten diese Patienten es kriegen können?«
»Das ist nun in der Tat eine völlig andere Frage«, erwiderte Jeffrey. Es widerstrebte ihm, schon jetzt mit seiner Doktor-X-Theorie herauszurücken. »Lassen wir das mal für einen Moment beiseite. Als Sie vorhin reinkamen, dachte ich, Sie hätten da was Spezielles im Sinn.«
»Hatte ich auch«, sagte Seibert. »Ich dachte an eine ganze Klasse von Toxinen, die die Toxikologen ganz schön auf Trab halten. Sie stammen aus den Hautdrüsen von Dendrobaten. Das ist eine giftige Froschart, die in Südamerika, speziell in Kolumbien, vorkommt.«
»Würden sie die Wirkungsweise des mysteriösen Toxins erfüllen, von dem wir reden?«
»Da müßte ich erst noch mal nachlesen, um ganz sicher zu sein«, sagte Seibert. »Aber soweit ich mich erinnern kann, ja. Sie wurden ganz ähnlich entdeckt wie Curare. Die Indianer zerstampften diese Frösche zu Pulver und brauten daraus einen Extrakt, mit dem sie ihre Pfeilspitzen tränkten. He, vielleicht ist das des Rätsels Lösung: einer von diesen kolumbianischen Indianern, der auf dem Kriegspfad ist.« Seibert lachte.
»Können Sie mir verraten, wo darüber was steht?« fragte Jeffrey. »Ich würde mich selbst gern ein bißchen weiterbilden.«
»Aber sicher doch«, erwiderte Seibert. Er stand auf und ging zu seinem Aktenschrank. Auf halbem Weg blieb er stehen und drehte sich um. »Unsere Diskussion bestätigt mich in dem, was ich vorhin über den perfekten Mord-Cocktail gesagt habe. Wenn ich zu wählen hätte, was ich in ein Lokalanästhetikum tun würde, würde ich dieses Sushi-Gift, Tetrodotoxin, nehmen. Da es nach außen hin die gleiche Wirkung hat wie Lokalanästhetika, würde keiner auch nur den geringsten Verdacht schöpfen. Was Sie stutzig gemacht hat, waren die vorübergehend auftretenden parasympathischen Symptome. Die hätten Sie bei Tetrodotoxin nicht.«
»Sie vergessen etwas«, sagte Jeffrey. »Ich glaube, Tetrodotoxin ist reversibel. Es lähmt die Atmung, aber während der Narkose ist das egal. Da atmen Sie ja für den Patienten.«
Seibert schnippte enttäuscht mit den Fingern. »Sie haben recht, das hatte ich vergessen. Es darf nicht nur die Funktion der Zellen blockieren, sondern es muß sie auch zerstören.«
Seibert ging weiter zu seinem Aktenschrank und zog die oberste Schublade auf. »Wenn ich jetzt bloß wüßte, worunter ich das Zeug eingeordnet habe«, murmelte er. Er kramte ein paar Minuten in der Schublade herum, sichtlich frustriert. »Ah, da haben wir’s ja!« rief er plötzlich und zog mit triumphierender Miene eine Mappe aus dem Schubfach. »Ich hab’s unter ›Frösche‹ abgelegt. So was Blödes!«
Die Mappe enthielt eine Reihe von nachgedruckten Artikeln aus diversen Fachzeitschriften. Einige davon waren allgemein bekannte Publikationen wie Science, andere waren eher was für Eingeweihte wie Advances in Cytopharmacology. Ein paar Minuten lang blätterten die beiden schweigend die vielen Artikel durch.
»Wie kommt’s, daß Sie all dieses Zeug sammeln?«
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