Narkosemord
rekapitulierte Jeffrey, schlagartig ernüchtert. »Das klingt ja wie ein echter Catch-22.«
»Deshalb sag’ ich ja auch, es kann das perfekte Verbrechen sein.«
Harold kam vom Spülstein zurück, in der Hand die Pfanne mit den Organen. Jeffrey benutzte die Gelegenheit, um die Decke des Raums zu betrachten.
»Willst du jetzt das Hirn rausnehmen, Harold?« fragte Seibert seinen Assistenten. Der nickte, stellte die Pfanne am Ende des Seziertisches ab und ging zum Kopf.
»Tut mir leid, wenn ich Sie so von der Arbeit abhalte«, sagte Jeffrey.
»Überhaupt kein Problem«, erwiderte Seibert. »Diese Art von Ablenkung kann ich gut vertragen. Das Geschnipsel wird mit der Zeit ganz schön langweilig. Der eigentliche Reiz dieser Arbeit liegt in der Analyse. Das macht richtig Spaß. Früher, beim Angeln, hab’ ich mich auch immer gern um das Ausnehmen der Fische herumgedrückt, und zwischen dem Ausnehmen von Fischen und einer Autopsie ist wirklich kein großer Unterschied. Außerdem haben Sie mich neugierig gemacht. Weshalb all diese Fragen über Toxine? Ein vielbeschäftigter Mann wie Sie kommt doch nicht hierher, um Frage-und-Antwort-Spielchen mit mir zu veranstalten.«
»Ich sagte Ihnen doch, es hat in den letzten Jahren mindestens noch vier andere Todesfälle bei Epiduralanästhesien gegeben. Das ist sehr ungewöhnlich. Und bei mindestens zwei von ihnen waren die anfänglichen Symptome völlig anders, als man es bei einer Reaktion auf ein Lokalanästhetikum erwarten würde.«
»Inwiefern?« fragte Seibert.
Einer der anderen Pathologen hob den Kopf und rief herüber: »He, Seibert, hast du vor, den Fall zu deinem Lebenswerk zu machen, bloß weil die Frau gut gebaut ist?«
»Leck mich, Nelson!« rief Seibert über die Schulter zurück. Dann sagte er, an Jeffrey gewandt: »Er ist bloß neidisch, weil ich zwei hintereinander habe. Aber das gleicht sich schon wieder aus. Meine nächste wird wahrscheinlich eine sechzigjährige Schnapsleiche sein, die bereits drei Wochen im Bostoner Hafen herumgetrieben ist. Sie sollten mal sehen, wie das ausschaut. Puh! Mit dem Gas, das da rauskommt, könnten Sie drei Wochen Ihre Wohnung heizen.«
Jeffrey versuchte zu lächeln, aber es fiel ihm schwer. Die Bilder, in denen diese Männer miteinander redeten, waren fast genauso schlimm wie die tatsächlichen Leichen.
Als Reaktion auf das Gestichel seines Kollegen nahm Seibert das Nahtmaterial und begann damit Gail Shaffers Y-förmige Autopsiewunde zuzunähen. »Wo waren wir stehengeblieben?« fragte er. »Ach ja. Inwiefern waren die Symptome anders?«
»Unmittelbar nachdem sie das Marcain bekommen hatten, zeigten die Patienten eine plötzliche und auffällige parasympathische Reaktion mit Unterleibsschmerzen, Speichelfluß, Transpiration und sogar myotischen Pupillen. Das dauerte nur ein paar Sekunden, und dann bekamen sie epileptische Anfälle.«
Harold hatte inzwischen mit einem Skalpell einen Schnitt um Gails Kopf herum gemacht. Er packte Gail beim Schopf und zog ihr mit einem Ruck die Kopfhaut übers Gesicht. Das Geräusch, das dabei entstand, war so widerlich, daß sich Jeffrey fast der Magen umdrehte. Der Schädel lag jetzt frei. Jeffrey wandte angewidert den Blick ab.
»Sieht man diese Art von Symptomen nicht auch bei einer toxischen Reaktion auf Lokalanästhetika?« fragte Seibert. Er hob die Nadel wie ein Flickschuster nach jedem Stich hoch über den Kopf, um den Faden strammzuziehen.
»Ja und nein«, antwortete Jeffrey. »Die Anfälle sicher. Auch die myotischen Pupillen werden in der Literatur beschrieben, obwohl ich, ehrlich gesagt, dafür keine physiologische Erklärung habe, und selbst gesehen habe ich es auch noch nie. Aber der vorübergehende Speichel- und Tränenfluß und die Schweißausbrüche, davon habe ich noch nie was gehört, geschweige denn was gelesen.«
»Ich glaube, ich begreif jetzt so ungefähr, worum es geht«, sagte Seibert. Im selben Augenblick ertönte ein lautes Surren, und Gail Shaffers Körper begann zu vibrieren. Harold war dabei, mit einer Elektrosäge das Schädeldach abzutrennen. Gleich würde er das Hirn herausnehmen. Seibert mußte die Stimme heben, um sich über den Lärm der Säge verständlich zu machen. »Soweit ich mich erinnere, blockieren Lokalanästhetika die Reizübertragung an den Synapsen. Jede Reaktion, die Sie dann noch kriegen können, rührt daher, daß die hemmenden Neurone als erste blockiert sein können. Habe ich das noch so einigermaßen auf die Reihe gekriegt?«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher