Narkosemord
daß er geglaubt hatte, einen echten Gangster vor sich zu haben - einen von der Sorte des wohlanständigen, unbescholtenen Ehrenmanns mit weißem Kragen und weißer Weste, die O’Shea ganz besonders gefressen hatte. Aber jetzt, nachdem er mehr über die Natur des Verbrechens wußte, das dieser Rhodes begangen hatte, kam O’Shea sich so vor, als sei er lediglich ein weiterer in der Reihe der Nackenschläge, mit denen das Schicksal den Burschen ohnehin schon gebeutelt hatte. Doch O’Shea war nicht gewillt, sich von seinem Mitgefühl einlullen zu lassen. Er war schließlich Profi, und er würde wie stets nüchtern und professionell vorgehen, ermahnte er sich. Das war er sich selbst schuldig. Er würde Dr. Jeffrey Rhodes zurückbringen, aber er würde sicherstellen, daß er ihn lebendig zurückbrachte, nicht tot.
»Hören Sie auf, sich über die Schuld oder Nichtschuld des Mannes den Kopf zu zerbrechen!« blaffte Mosconi. »Bringen Sie mir den Burschen her, oder ich beauftrage jemand anders. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
O’Shea legte den Hörer auf. Es gab Momente, da nervte ihn dieser Mosconi fürchterlich, und das war einer dieser Momente. O’Shea wollte sich ganz gewiß nicht die Belohnung für diesen Auftrag durch die Lappen gehen lassen, und er haßte es, wenn Mosconi ihm mit dieser Möglichkeit drohte. Genauso wie er es haßte, daß er sich ein Versprechen hatte abnötigen lassen, das er womöglich nicht halten konnte. Er würde jedenfalls sein Bestes versuchen. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr den Luxus leisten, darauf zu warten, daß irgend etwas passierte. Er mußte handeln. Er ließ seinen Wagen an und fuhr in Kellys Einfahrt. Dann stieg er aus, ging zur Haustür und klingelte.
Jeffrey war tief in Gedanken versunken, als die Türklingel ihn aufschreckte. Kelly ging hin. Jeffrey beugte sich über die Couchlehne zu ihr herum und sagte: »Aber schau erst, wer es ist.«
Kelly blieb an der Tür zum Eßzimmer stehen. »Ich schau’ immer erst, wer es ist«, erwiderte sie leicht pikiert.
Jeffrey nickte. Sie waren beide mit den Nerven ziemlich herunter. Vielleicht sollte er doch besser Kelly den Gefallen tun und in ein Hotel ziehen. Die Situation belastete sie mehr, als er ihr zumuten konnte und wollte. Er wandte seine Gedanken wieder Trent Harding und der Überlegung zu, was er bei dem geplanten Telefongespräch sagen sollte. Es mußte irgendeinen Weg geben, den Burschen aus der Reserve zu locken. Wenn er ihn nur zum Reden bringen konnte…
In dem Moment kam Kelly auf Zehenspitzen ins Zimmer zurück. »Da ist ein Typ an der Tür«, flüsterte sie. »Ich glaube, das ist dieser O’Shea. Pferdeschwanz, Jeansklamotten. Guck selbst mal!«
»O nein, nicht auch das noch, bitte!« stöhnte Jeffrey. Er stand von der Couch auf und folgte Kelly durch das Eßzimmer und in die Diele. Ein solches Erlebnis wie das bei Harding reichte ihm für heute. Gerade als sie an der Tür ankamen, klingelte es erneut, jetzt gleich ein paarmal hintereinander. Jeffrey beugte sich vorsichtig vor und spähte durch den Spion.
Ein Riesenschreck durchfuhr ihn. Kein Zweifel, der Typ, der da vor der Tür stand, war Devlin O’Shea! Jeffrey duckte sich von der Tür weg und gab Kelly ein Zeichen, ihm ins Eßzimmer zu folgen.
»Es ist tatsächlich O’Shea«, flüsterte er. »Paß auf! Am besten, wir bleiben ganz still. Dann wird er glauben, daß niemand zu Hause ist, und wieder gehen, wie beim letztenmal.«
»Aber wir sind eben erst mit dem Wagen gekommen«, wandte Kelly ein. »Wenn er das Auto gesehen hat, dann weiß er, daß jemand da ist. Und wenn wir dann so tun, als wäre niemand da, kann er sich an fünf Fingern abzählen, daß du hier bist.«
Jeffrey sah sie erneut mit bewunderndem Blick an. »Wie kommt es, daß ich immer mehr das Gefühl hab’, daß du in solchen Dingen einfach besser bist als ich?« fragte er.
»Auf keinen Fall darf er irgendwie Verdacht schöpfen«, sagte Kelly. Sie ging zurück zur Tür. »Versteck dich! Ich werde mit ihm reden, aber ich werde ihn nicht reinlassen.«
Jeffrey nickte. Was sollte er auch sonst machen? Kelly hatte recht. O’Shea hatte wahrscheinlich das Haus beobachtet. Jeffrey konnte nur hoffen, daß er sich tief genug in den Sitz gekauert hatte. Wenn O’Shea ihn gesehen hatte, dann war alles zu spät.
Hastig überlegte er, wo er sich verstecken sollte. Er wollte sich nicht noch einmal in der Speisekammer verkriechen; das eine Mal hatte ihm gereicht. Statt dessen schlüpfte er
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