Narkosemord
nächstemal, wenn Rhodes ihm über den Weg lief, würde er ihn nicht entwischen lassen. Das passierte ihm nicht noch einmal.
»Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?« fragte Kelly.
»Nein«, antwortete Jeffrey. »Ich konnte dich hören, aber ihn nicht.«
»Er sagte, jemand hätte ihm berichtet, daß er uns zusammen gesehen hätte. Darauf habe ich erwidert, ich hätte seit Chris’ Beerdigung keinerlei Kontakt mehr mit dir gehabt. Er hat mir seine Karte unter der Tür durchgeschoben; ich soll ihn anrufen, falls ich was von dir höre. Ich bin sicher, er weiß nicht, daß du hier bist, sonst hätte er nicht so schnell aufgegeben, und ganz bestimmt hätte er sich nicht die Mühe gemacht, mir seine Telefonnummer zu geben.«
»Aber es war schon das zweitemal, daß er hier aufgekreuzt ist«, wandte Jeffrey ein. »Er muß irgendwas wissen, sonst wäre er nicht noch mal gekommen. Bis jetzt haben wir Glück gehabt. Er trägt eine Waffe bei sich, und er hat keine Hemmungen, sie auch zu benutzen.«
»Er blufft nur, glaub mir. Ich sag’ dir, er weiß nicht, daß du hier bist. Vertrau mir!«
»Es ist O’Shea, dem ich nicht traue. Er stellt eine echte Bedrohung dar. Ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen, weil ich deine Sicherheit gefährde.«
»Du gefährdest meine Sicherheit nicht. Ich gefährde meine Sicherheit. Ich hänge in dieser Sache mit drin. Du wirst mich ebensowenig davon abbringen, weiterzumachen, wie Harding oder O’Shea. Außerdem«, fügte sie hinzu, und ihr Ton wurde eine Spur sanfter, »brauchst du mich.«
Jeffrey betrachtete Kellys Gesicht. Er schaute tief in ihre dunkelbraunen Augen; zum erstenmal bemerkte er die winzigen goldenen Flecken, die darin funkelten. Zum erstenmal hatte er fast das Gefühl, daß alles, was er während der vergangenen Tage durchgemacht hatte, es wert gewesen war, um diesen Moment mit ihr zu erleben. Er hatte sie immer schon anziehend gefunden; plötzlich war sie schön. Schön, warmherzig, einfühlsam - und ungeheuer weiblich.
Sie saßen immer noch auf der Couch, wo sie sich hingesetzt hatten, nachdem Jeffrey aus seinem Versteck im Dielenschrank gekommen war. Da die Rollos im Wohnzimmer heruntergezogen waren, war die einzige Lichtquelle in der Wohnung das Flügelfenster über der Spüle. Die Nachmittagssonne, die durch die Küche hereinfiel, verlieh dem Raum etwas Friedvolles, ungeheuer Behagliches. Aus dem Garten hinter dem Haus drang leise das Zwitschern von Singvögeln herüber.
»Du willst wirklich, daß ich hierbleibe, trotz der Gefahr?« fragte Jeffrey. Er hatte einen Arm auf der Lehne der Couch.
»Du kannst manchmal so stur sein«, sagte Kelly mit einem Lächeln. Ihre Augen und ihre Zähne funkelten in dem milden, weichen Licht. »Klar bleibst du hier.« Spielerisch legte sie den Kopf an Jeffreys Arm. Sie streckte die Hand aus und berührte mit dem Finger ganz sanft erst seine Nasenspitze, dann seine Oberlippe. »Ich kann mir gut vorstellen, wie einsam und allein du dich in den letzten Tagen und Monaten gefühlt haben mußt. Ich kann das gut nachempfinden, weil ich das gleiche gefühlt habe. Ich konnte es an deinen Augen sehen an dem Abend, als du vom Flughafen hierherkamst.«
»War es so offensichtlich?« fragte Jeffrey. Aber er erwartete keine Antwort. Es war eine rhetorische Frage. Er fühlte, wie um ihn herum und in ihm eine Verwandlung vorging. Das Universum schrumpfte zusammen. Plötzlich war das Zimmer das einzige, was auf der Welt existierte. Die Zeit verlangsamte sich, blieb stehen. Behutsam beugte Jeffrey sich vor und küßte Kelly. Wie in Zeitlupe sanken sie ineinander, verschmolzen miteinander in zärtlicher, langersehnter Vereinigung, zuerst langsam, zögernd, beinahe tastend, dann fordernd, gierig, heißhungrig, bis sie irgendwann ermattet in glücklicher, inniger Umarmung auf die Couch sanken.
Schließlich drang das Gezwitscher der Vögel wieder in ihr Bewußtsein. So überwältigend und unerwartet ihre Vereinigung gewesen war, jetzt kehrte die Wirklichkeit Stück für Stück zurück. Für einen kurzen Augenblick waren sie die einzigen Menschen auf der Welt gewesen, und Raum und Zeit hatten stillgestanden. Mit einer gewissen Verlegenheit, die eng verwandt war mit dem Verlust von Unschuld, lösten sie sich voneinander und schauten sich in die Augen. Sie mußten beide kichern. Sie kamen sich vor wie Teenager.
»Also, was ist?« brach Kelly schließlich das Schweigen. »Du bleibst?«
Beide lachten.
»Ich bleibe.«
»Wie wär’s mit etwas
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