Narkosemord
er sich gar nicht überlegt hatte, wie er anfangen wollte. Abrupt sagte er »Hallo« und nannte seinen Namen. Er war so verunsichert, daß er fürchtete, sie werde sich vielleicht gar nicht an ihn erinnern, aber bevor er noch ihrem Gedächtnis einen Schubs gab, vernahm er ein überschwengliches »Hallo, Jeffrey!«. Sie war offenbar ehrlich erfreut, von ihm zu hören, und klang überhaupt nicht überrascht.
»Ich bin so froh, daß Sie anrufen«, sagte sie. »Ich habe selbst schon daran gedacht, als ich hörte, in was für Schwierigkeiten Sie stecken, aber ich hab’s einfach nicht über mich gebracht. Ich fürchtete, Sie würden sich gar nicht an mich erinnern.«
Er sich nicht an sie erinnern! Jeffrey versicherte ihr, daß das nicht der Fall sei. Aber er nahm das Stichwort auf und entschuldigte sich dafür, daß er sie nicht schon früher angerufen habe.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte sie. »Ich weiß, daß Tragödien die Leute einschüchtern. Und ich weiß, daß Ärzte Mühe haben, mit dem Selbstmord eines Kollegen umzugehen. Ich habe nicht erwartet, daß Sie mich anrufen, aber ich war gerührt, daß Sie sich die Zeit genommen haben, zur Beerdigung zu kommen. Chris hätte sich gefreut, wenn er gewußt hätte, daß er Ihnen das wert war. Er hatte wirklich großen Respekt vor Ihnen. Er hat mir mal erzählt, für ihn seien Sie der beste Anästhesist, den er kenne. Deshalb habe ich mich geehrt gefühlt, als Sie da waren. Ein paar andere Freunde waren nicht da. Aber das habe ich auch verstanden.«
Jeffrey wußte nicht, was er sagen sollte. Kelly verzieh ihm nicht nur, sie dankte ihm sogar. Je mehr sie sagte, desto mieser kam er sich vor. Schließlich wechselte er das Thema. Er sei froh, sie zu Hause anzutreffen, erklärte er.
»Ja, zu dieser Zeit bin ich fast immer erreichbar. Ich bin gerade von der Arbeit heimgekommen. Vermutlich wissen Sie ja, daß ich nicht mehr im Valley arbeite.«
»Nein, das habe ich nicht gewußt.«
»Nach Chris’ Tod hielt ich es für besser, mich woanders umzusehen«, sagte Kelly. »Also bin ich in die Stadt gezogen. Ich arbeite jetzt im St. Joe’s auf der Intensivstation. Sie sind wohl immer noch im Boston Memorial?«
»Gewissermaßen«, antwortete Jeffrey ausweichend. Er fühlte sich unbeholfen und unschlüssig, und er fürchtete, sie werde es nicht wollen, daß er sie besuchte. Was schuldete sie ihm schließlich? Sie führte ihr eigenes Leben. Aber jetzt war er einmal so weit gekommen - jetzt mußte er es versuchen. »Kelly… ich wollte fragen, ob ich wohl vorbeikommen und kurz mit Ihnen reden könnte?«
»Wann dachten Sie denn?« fragte Kelly ohne Zögern.
»Wann es Ihnen paßt. Ich… ich könnte sofort… wenn Sie nicht beschäftigt sind…«
»Na prima«, sagte Kelly.
»Wenn es Ihnen nicht paßt, kann ich auch…«
»Nein, nein, es paßt prima. Kommen Sie nur«, sagte Kelly, ehe Jeffrey geendet hatte. Und dann beschrieb sie den Weg zu ihrem Haus.
Michael Mosconi hatte Jeffreys Scheck vor sich auf der Löschblattunterlage liegen, als er Owen Shatterly bei der Boston National Bank anrief. Er hatte nicht gedacht, daß er nervös sein würde, aber als er die Nummer wählte, hatte er doch plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Erstmals in seiner Karriere als Kautionsbürge hatte er einen Scheck genommen, und die Transaktion hatte geklappt. Der Scheck war nicht geplatzt. Aber von Kollegen hatte Mosconi schon Horrorgeschichten gehört. Natürlich, wenn etwas schiefginge, bestände sein größtes Problem darin, daß seine Versicherung ihm verbieten würde, überhaupt noch Schecks zu nehmen. Wie er es Jeffrey erklärt hatte: Er hielt seinen Arsch für ihn hin. Er wußte nicht, wieso er hier so weichherzig geworden war. Andererseits war es natürlich ein einzigartiger Fall. Der Kerl war Arzt, um Himmels willen. Und ein Fünfundvierzigtausend-Dollar-Honorar kam auch nur alle Jubeljahre einmal vor. Mosconi hatte den Fall nicht an die Konkurrenz verlieren wollen. Also hatte er auf seine Weise bessere Konditionen geboten. Es war eine Managemententscheidung gewesen.
Jemand von der Bank meldete sich; Mosconi mußte warten. Er trommelte mit den Fingerspitzen auf den Schreibtisch. Es war kurz vor vier. Mosconi wollte sich nur vergewissern, daß der Scheck von diesem Doc okay war, bevor er ihn einreichte. Shatterly war seit langem ein Freund von ihm; Mosconi wußte, daß er keine Schwierigkeiten haben würde, es von ihm zu erfahren.
Als Shatterly sich meldete,
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