Narkosemord
Aktenkoffer erschien, aber die zweite der beiden Frauen kam herüber und legte die Hand darauf.
»Gehört der Ihnen?« fragte sie Jeffrey.
Jeffrey zögerte, aber es war nicht zu leugnen, daß der Koffer ihm gehörte. Sein Paß war darin.
»Ja«, sagte er matt.
»Haben Sie da ein Reisenecessaire mit einer kleinen Schere drin?«
Jeffrey nickte.
»Okay«, sagte sie und schob ihm den Aktenkoffer hinüber. Verdattert, aber erleichtert nahm er ihn, ging in eine entlegene Ecke des Warteraums und setzte sich. Er griff nach einer weggeworfenen Zeitung und verbarg sich dahinter. Wenn er sich nicht wie ein Verbrecher gefühlt hatte, als die Geschworenen ihren Schuldspruch bekanntgegeben hatten, so fühlte er sich jetzt wie einer.
Als sein Flug aufgerufen wurde, drängte Jeffrey sofort zum Flugsteig. Er konnte es nicht erwarten, in die Maschine zu kommen, und als er an Bord war, konnte er es nicht erwarten, seinen Sitz zu finden.
Er hatte einen Gangplatz ziemlich weit vorn im Flugzeug. Als er den Koffer oben im Gepäckfach untergebracht und den Aktenkoffer sicher zu seinen Füßen verstaut hatte, lehnte er sich zurück und schloß die Augen. Sein Herz jagte immer noch, aber er konnte jetzt wenigstens versuchen, sich zu entspannen. Er hatte es fast geschafft.
Doch es war schwierig, sich zu beruhigen. Als er jetzt im Flugzeug saß, begann er allmählich zu begreifen, wie schwerwiegend und unumkehrbar es war, was er zu tun im Begriff stand. Bis jetzt hatte er noch kein Gesetz gebrochen. Aber sobald das Flugzeug die Grenze von Massachusetts zu einem anderen Staat überflöge, würde er es getan haben. Und dann gäbe es kein Zurück mehr.
Jeffrey sah auf die Uhr. Er begann zu schwitzen. Es war dreizehn Uhr siebenundzwanzig. Nur noch drei Minuten, und die Türen würden geschlossen werden. Dann der Start. Tat er das Richtige? Zum erstenmal, seit er am Morgen seine Entscheidung getroffen hatte, fühlte Jeffrey echten Zweifel. Die Erfahrung eines ganzen Lebens sprach dagegen. Er hatte immer die Gesetze befolgt und die Behörden respektiert.
Er begann am ganzen Leib zu zittern. Noch nie hatte er eine so quälende Unschlüssigkeit und Unentschiedenheit verspürt. Wieder sah er auf die Uhr. Dreizehn Uhr neunundzwanzig. Die Stewardessen waren dabei, die Gepäckfächer zuzuschlagen, und das Gepolter drohte ihn verrückt zu machen. Die Tür zum Cockpit schloß sich mit lautem Klicken. Die Flugsteigkontrolle kam an Bord und reichte die endgültige Passagierliste herein. Alle saßen auf ihren Plätzen. In gewisser Weise beendete er jetzt das Leben, das er kannte, ebenso, als hätte er am Abend zuvor den Verschluß an der Infusionsflasche geöffnet.
Wie würde sich seine Flucht auf sein Revisionsverfahren auswirken? Würde er nicht um so schuldiger aussehen? Und wenn er jemals zur Rechenschaft gezogen würde, hätte er dann wohl eine zusätzliche Haftstrafe für diese Flucht zu erwarten? Und was wollte er eigentlich in Südamerika anfangen? Er sprach ja nicht mal Spanisch oder Portugiesisch. Und blitzartig strahlte das ganze Grauen seiner Aktion vor ihm auf. Er konnte es einfach nicht.
»Halt!« schrie er, als er hörte, wie die Türen der Maschine geschlossen wurden. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
»Halt! Ich muß aussteigen!« Er öffnete seinen Sicherheitsgurt und wollte dann den Aktenkoffer unter dem Sitz hervorziehen. Der Koffer ging auf, und ein Teil des Inhalts, darunter ein Stapel Hunderter, fiel heraus. Hastig stopfte er alles wieder hinein und holte seinen Koffer aus dem Gepäckfach. Niemand sprach. Alle beobachteten Jeffreys Panik mit verblüffter Neugier.
Jeffrey hastete nach vorn und blieb vor der Stewardeß stehen. »Ich muß aussteigen!« wiederholte er. Der Schweiß rann ihm über die Stirn und in die Augen, so daß er nur noch verschwommen sehen konnte. Er sah aus wie ein Wahnsinniger. »Ich bin Arzt«, fügte er hinzu, als sei das eine Erklärung. »Es handelt sich um einen Notfall.«
»Okay, okay«, sagte die Stewardeß ruhig. Sie klopfte an die Tür und gab der Flugsteigkontrolle, die noch draußen im Zugang stand, ein Handzeichen durch das Fenster. Die Tür öffnete sich, zu langsam für Jeffreys Geschmack.
Kaum war der Weg frei, sprang er hinaus. Zum Glück hielt ihn niemand auf oder befragte ihn nach seinen Gründen für das Verlassen der Maschine. Er rannte durch den Laufgang. Die Tür zum Terminal war geschlossen, aber nicht abgesperrt. Er wollte die Abfertigungshalle durchqueren, aber er kam nicht
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