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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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es aussah, kostete ihn ein vergiftetes Abendessen bei einem Getreuen Amalias und kein Herzleiden das Leben.
    Was weder Joseph noch Matthias Lamberg miterleben sollten, es geschah tatsächlich: Der Kaiser hatte mit seiner dunklen Vorahnung recht behalten und mit Karl VI. starb die Familie Habsburg offiziell im Mannesstamm aus.
    Aber, und diese Erkenntnis erschütterte Sina nach den letzten Seiten des Tagebuches, durch die legitimierten Kinder der Mätresse existierte aufgrund einer Gesetzeslücke nach wie vor eine männliche Linie aus dem Hause Habsburg. Somit lebte parallel zum Erzhaus Habsburg-Lothringen eine weitere, erbberechtigte Linie, vergleichbar in etwa mit Regierung und Schattenkabinett im Parlament Großbritanniens.
    War das Lamberg-Tagebuch echt, gab es eine Schattenlinie mit einem niemals widerrufenen Anspruch auf den Thron Österreichs.

    Die Kerzen waren heruntergebrannt und auf der großen Tischplatte lagen die Leichen von Dutzenden Faltern.
    Plötzlich wurde Sina heiß und kalt. Was wäre, wenn Ireneusz Lamberg das kaiserliche Privileg ebenfalls von seinem Vorfahren geerbt und in seinem Besitz gehabt hatte? Vielleicht hatte er es Kirschner in Nussdorf sogar übergeben oder zeigen wollen? Unter Umständen hatte es der Ungar versäumt, das Dekret im letzten Augenblick zu retten und es zusammen mit dem Tagebuch an die Uni mitzunehmen. Hatte es Ireneusz Lamberg womöglich die ganze Zeit über bei sich gehabt, in seinem Wagen etwa? Just in dem Wagen, mit dem er verunglückt war?
    »Das wäre ein logisches Tatmotiv für die zwei Morde gewesen«, murmelte er und schaute grübelnd auf seinen schnell hingeworfenen Stammbaum. Noch fehlten für seine Theorie die handfesten Beweise …
    Georg schlug mit der Faust auf den Tisch und die Leuchter klirrten. Verdammt, dann war es jetzt bereits zu spät … Dann war das Dokument für immer verloren oder in den Händen der Mörder.
    Café Prindl, Wien/Österreich
    M it der Abenddämmerung hatte auch die Besucherschicht des Prindl gewechselt. Die Hausfrauen und alten Damen, die auf einen Nachmittagskaffee vorbeigeschaut hatten und dann doch länger geblieben waren, überließen ihre Plätze den Taxifahrern, die auf ein schnelles Abendessen vorbeikamen, Kartenspielern, Stadtflaneuren oder den Stammgästen, die einfach noch nicht nach Hause gehen wollten.
    Kommissar Berner schlenderte über den Gaußplatz und schaute nachdenklich zum runden, dunklen Flakturm im Augarten hinüber. Das Monument aus Stahl und Beton hatte nicht nur den Krieg, sondern auch die darauffolgenden Jahrzehnte unbeschadet überstanden. Die kleineren Schäden an dem riesigen Betonturm waren ironischerweise ein Jahr nach Kriegsende durch spielende Kinder entstanden. Sie hatten durch Unachtsamkeit zweitausend Granaten zur Explosion gebracht und dem Stahlbeton damit mehr zugesetzt als der gesamte Luftkrieg. Der Klotz würde auch in hundert Jahren noch dastehen, wie ein unzerstörbares Mahnmal gegen den Krieg und die Überheblichkeit eines wahnsinnigen Diktators, dachte Berner und überquerte die Fahrbahn.
    Was hatte Wagner am Telefon gesagt? Baldur von Schirach habe 1940 ein Dokument nach Wien gebracht, um das heute ein Wettrennen entbrannt sei. Berner schüttelte den Kopf und fragte sich, ob der Reporter diesmal nicht auf der falschen Spur war. Es gab weiß Gott wichtigere Ereignisse in diesen Tagen als das alte Dokument eines Nazi-Bonzen, auch wenn er Gauleiter von Wien gewesen war.
    Berner schob sich am Schanigarten vorbei und stieß die Tür zum Prindl auf. Er blickte sich kurz um, nickte einigen Stammgästen zu und gab der Bedienung ein Zeichen, das mit einem »Kommt gleich!« quittiert wurde. Dann pflügte er durch eine Gruppe von Pensionisten, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie nun gehen oder doch lieber bleiben wollten, und steuerte seinen Stammtisch an. Burghardt hatte es mit Hinweis auf Frau und Familie abgelehnt, mitzukommen. Selber schuld, dachte Berner und sah auf die Uhr. Dann stand da auch schon das große, frisch gezapfte Bier vor ihm, und gerade als der Kommissar genüsslich zum ersten Schluck ansetzen wollte, schob sich Paul Wagner in sein Blickfeld.
    »Prost, und genau dasselbe hätte ich auch gerne«, meinte der Reporter und ließ sich auf den Stuhl neben Berner fallen.
    »Haben Sie kein eigenes Stammcafé?«, brummte Berner und nahm einen tiefen Zug. »Das wird langsam zur anstrengenden Gewohnheit, den Tisch teilen zu müssen.«
    »Besser als das Bett«, gab Paul trocken

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