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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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sah er die großen Nachtfalter, die bald um die Kerzenflammen flatterten, sich gelegentlich die Flügel versengten und dann hilflos abstürzten, um auf der alten Tischplatte zu verenden. Doch Georg sah sie nicht wirklich, er blickte gedankenverloren ins Leere und hatte das Gefühl, dass die Phantome in seinen Eingeweiden wühlten und gekommen waren, um ihn zu holen. Ich hätte nicht anfangen sollen zu lesen, dachte er, ich hätte die verdammten Geister dort belassen sollen, wo sie waren. Aber jetzt war es zu spät.
    Endlich, nachdem er die sechs letzten Lebensjahre des Fürsten sowie seines Kaisers aufmerksam bis zum Ende gelesen hatte, verstand Georg, was so Ungeheuerliches und Außergewöhnliches an der Hinterlassenschaft von Matthias Lamberg war. Wenn diese Behauptungen stimmen, dann haben wir nicht nur ein Problem, sondern eine ganze Lawine, dachte Georg und blickte auf das Wappen derer von Lamberg. Das war eine völlig unerwartete Wendung der Historie, die es notwendig machen würde, die Geschichtsbücher neu zu schreiben.
    Joseph I., das wusste Georg, galt als der hübscheste und fähigste aller Habsburger, auch wenn er, anders als sein Bruder, der spätere Karl VI. und Vater Maria Theresias, nicht besonders fromm gewesen sein soll. Er begann den Bau von Schloss Schönbrunn mit dem Ziel, Versailles an Größe und Pracht noch zu übertreffen. Andererseits ließ er die Wiener Kanalisation anlegen, um den Unrat aus der Stadt zu befördern.
    Lamberg war bei all dem an seiner Seite, begleitete den Kaiser fast auf Schritt und Tritt. Er war einer der engsten Vertrauten des Kaisers, ging mit ihm auf die Jagd, zähmte mit ihm Pferde und gemeinsam durchzechten sie so manche Nacht.
    Josephs Regierungszeit als römisch-deutscher Kaiser war jedoch nur kurz. Sein Wahlspruch hatte »Amore et timore«, »Durch Liebe und Furcht«, gelautet, was Georg irgendwie bekannt vorkam.
    In manchen Dingen war das Tagebuch erstaunlich genau. Kaiser Joseph gab offensichtlich Unsummen für Mätressen und Günstlinge aus, einer davon war Matthias von Lamberg. Doch die wichtigste Frau an Josephs Seite war nicht etwa seine Gemahlin, Amalia Wilhelmine von Braunschweig-Lüneburg, eine Nachfahrin der Lukrezia Borgia, gewesen, sondern Marianne Palffy. Die Tochter eines ungarischen Bans war eine wahre Skandalnudel ihrer Zeit, wie Lamberg eher amüsiert festgehalten hatte. Sie hatte sich auf Festen mehrfach öffentlich übergeben und nahm es mit der Moral nicht sehr genau. Sie hatte, das wusste Lamberg zu berichten, Joseph mehrere Kinder geboren, darunter mindestens einen Sohn.
    Das musste für seine Frau Amalia keineswegs angenehm gewesen sein, hatte sie Joseph doch lediglich zwei Töchter und einen Erben für das Reich geschenkt, der nach nur einem Lebensjahr wieder gestorben war. Und nachdem sie Joseph mit der Syphilis infiziert hatte, wurde die Kaiserin überhaupt unfruchtbar.
    Das Tagebuch war unerbittlich. Der Hass der Kaiserin auf Marianne Palffy und ihre schier unbegrenzte Fruchtbarkeit wurde laut Matthias grenzenlos. Joseph unterdessen sah das Ende seiner Familie und ihres Reiches näher kommen. Sein Bruder Karl stand jetzt unter dem Druck, gleich zwei Erben zu zeugen, einen für den Thron des Reiches, den anderen für die spanische Krone. Und Karl, so glaubte Joseph, würde scheitern. Darum erklärte er seine Kinder aus der Verbindung mit Marianne Palffy für erbberechtigt. Er vollzog an seinen Söhnen eine »legitimatio per rescriptum principis«, eine Legitimation durch einen Gnadenakt des Fürsten, unter Berufung auf das römische Recht und ein Privileg Kaiser Friedrichs III. vom 6. Jänner 1453. Demzufolge war es den österreichischen Erzherzögen möglich, Bastarde und Uneheliche zu legitimieren, sie in den Rechtsstatus ehelicher Kinder zu versetzen, und sie somit auch für Ehren, Würden, Stände und zu allen Ämtern fähig zu machen.
    Marianne Palffys Kinder wurden dadurch zu Erzherzögen und Erzherzoginnen aus dem Haus Habsburg.
    Der Rest der Dynastie war davon wenig begeistert, allen voran Kaiserin Amalia. So erhielt Matthias den allerhöchsten Befehl, Josephs Erben insbesondere vor der Kaiserin in Sicherheit zu bringen. Lamberg, treuer Diener seines Herrn, entzog das Legitimationsdekret dem Zugriff der restlichen Familie Habsburg und verwahrte es, dann evakuierte er Marianne Palffys Kinder nach Ungarn und schützte sie, was ihm mehr schlecht als recht gelang …
    Der Hass der Kaiserin verfolgte ihn, wo immer er auch hinging. Wie

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