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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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machte die starken Außenscheinwerfer an und ließ einen kritischen Blick über die Mauerkronen der Ringmauern und Türme wandern. Zornig stellte er am Bergfried fest, dass der Mörtel, den ihm das Bundesdenkmalamt aufgeschwatzt hatte, ganz offensichtlich nichts taugte. Er hatte sich gleich gedacht, dass gelöschter Kalk alleine nicht reichen würde, und wollte lieber einen Kalkteig mit Sand anrühren. Aber das Denkmalamt hatte ein Machtwort gesprochen, er hatte sich gefügt und – das hatte er jetzt davon … Wieder waren größere Steine aus der Mauer herausgebrochen und abgestürzt.
    »Hoffentlich hat sie keiner aufs Dach gekriegt«, murmelte Georg ärgerlich und kratzte sich den Bart.
    Er wusste beim besten Willen nicht mehr, wie viele Tausend Arbeitsstunden er investiert hatte, um die Ruine vor dem Verfall zu retten und sie bewohnbar zu machen. Die Steine und Holzträger waren mittlerweile bestimmt mit ihm verwandt, so oft hatte er sich bei der Arbeit schon verletzt und sein Blut auf sie vergossen.
    Im Herzen war er längst eins geworden mit seiner Burg. Mit jedem Zentimeter, den die Mauern wieder emporwuchsen, vertiefte sich dieses Gefühl. Er hatte jahrelang weder Schmerz noch Anstrengung gespürt, war wie ein Besessener und Getriebener gewesen, nur mit dem einen Ziel vor Augen – über den Verlust von Clara hinwegzukommen. Vielleicht hatte er darum zu lange gezögert, Irina hierher zu bringen? Diese Burg war das Monument seiner Trauer, aber auch seines Stolzes.
    Ja, sagte sich Georg, bestimmt war es der Hochmut gewesen, der ihn ins Exil getrieben hatte. Zu dem freiwilligen Eremiten gemacht hatte, der wohl das größte Leid der Welt auf seinen Schultern trug und darum keinen anderen Menschen an seiner Seite mehr ertragen hatte. Weder seinen Vater, noch Paul, noch irgendwen …
    Georg löschte die Scheinwerfer wieder und ging zurück in den Palas, nahm das Tagebuch und verlegte seine Studien nach oben, wo er seine Bücher und Archivalien verstaut hatte.
    Der Rittersaal roch muffig und feucht. Sina drehte das Licht an, öffnete mehrere Fenster und atmete die saubere, kühle Luft ein. Zum Arbeiten brauchte er einen klaren Kopf. Es war spät geworden, aber die Uhrzeit war ihm inzwischen völlig egal.
    Sina ging durch den Saal und strich mit den Fingern über die lange Tafel, an der mehr als sechzehn Stühle Platz fanden. Putzen würde hier keineswegs schaden, dachte er sich. Zwischen den hohen Lehnen der Sessel hatten Spinnen ihre Netze ausgelegt, und die gemalten Wappen an den Rückenlehnen waren unter einer dicken Staubschicht fast verschwunden. Die alten, regionalen Familien hätten Schwierigkeiten, ihre Wappen auseinanderzuhalten, grinste Georg und nahm sich vor, einen ausgedehnten Putztag einzulegen.
    Die ebenfalls mit Schilden und Helmen verzierte Täfelung der Decke sah nicht viel besser aus. Sina hatte es niemals über das Herz gebracht, das Wappen des alten Burgherrn Franz Josef Hampapa, der mit der Renovierung von Grub begonnen und diesen Raum gebaut hatte, mit seinem eigenen zu übermalen. Und nach dem Erlebnis am Gallitzinberg war ihm die Lust dazu erst recht vergangen.
    Als er keine nassen Stellen, Sprünge oder Sinterflecken an der Bausubstanz erkennen konnte, war er zufrieden. Alles andere würde noch eine Weile warten müssen.
    Nachdem er provisorisch über den Tisch gewischt hatte und mehrere Kerzenleuchter anstelle des elektrischen Lichtes entzündet hatte, setzte er sich in den schweren Armsessel am Kopf der Tafel. Der trug das Schild der Freiherren von Sina auf der Rückenlehne und war Georgs Stammplatz an dieser Tafel.
    Er beugte sich erneut über die Seiten des Manuskriptes. Im Gedenken an Ireneusz Lamberg war dieser Ort absolut passend, sah er doch schräg gegenüber das Wappen derer von Lamberg.
    »Setzen Sie sich doch zu mir, Graf Ireneusz«, flüsterte Georg, »und erzählen Sie mir Ihr Leben.« Er machte eine einladende Geste und begann dann zu lesen. Es war nicht das erste Mal, dass er auf Grub mit den Verstorbenen sprach. Clara war ja auch immer wieder zu Besuch gekommen, war hier mit ihm gesessen und sie hatten sich nächtelang unterhalten.
    Die Schatten der Vergangenheit, die beim Lesen der handgeschriebenen Zeilen heraufstiegen, schienen Georg nach und nach einzukreisen. Es war, als hätten sie einer nach dem anderen auf den harten Stühlen Platz genommen und rückten ungeduldig immer näher, je weiter der Wissenschaftler ins Leben Fürst Lambergs eintauchte.
    Als er aufschaute,

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