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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Zentimeter noch, dann würde das Wasser die Plattform erreicht haben und zur elektrischen Todesfalle werden. Wollner wusste nicht, dass dreißig Sekunden so endlos lange dauern konnten.
    Endlich war es so weit und Wolle sprang aus dem Wasser, zählte im Geiste von zehn herunter und zog sich mit aller Kraft an dem Seil nach oben. Die Füße rutschten auf der schrägen Metallplatte ab, er fiel auf die Knie, ließ das Seil nicht los und zog sich mit beiden Händen weiter. Als er bei »drei« angelangt war, wusste er, dass er es nicht rechtzeitig schaffen würde. Sein Oberkörper war fast schon an der Kante der Schräge, als er mit dem Zählen bei »null« angelangt war. Plötzlich spürte er zwei starke Hände, die ihn nach oben in Sicherheit zogen.
    »Du hast sicher zu schnell gezählt«, stieß Marzin hervor, als Wolle sich neben ihm mit zitternden Knien an die Kiste lehnte.
    In dem Moment brach das Inferno los. Das Wasser hatte die Plattform erreicht und die Funken sprühten. Wasserdampf stieg auf, bevor mit einem lauten Knall, der wie ein Kanonenschuss klang, irgendwo tief unter der Pyramide ein erstes Relais durchbrannte. Dann ging es Schlag auf Schlag. Immer mehr Sicherungen oder Schalter gaben nach, es krachte und zischte und knallte, bevor mit einem finalen Donnerschlag die Stromversorgung endgültig zusammenbrach.
    »Ein Problem erledigt, dafür ein anderes umso drohender«, räsonierte Marzin und beobachtete alarmiert den Wasserstand, der mit erschreckender Schnelligkeit anstieg. Eine Flut von toten Ratten schien sie mitsamt der Plattform verschlingen zu wollen. Instinktiv schaute Marzin nach oben und Wolle folgte seinem Blick. Über ihrem Kopf blieb ein Meter Platz, dann kam die Betondecke, fugenlos und ohne Öffnung. Es würde keine zehn Minuten dauern und sie würden den toten Nagern Gesellschaft leisten. Das Wasser stieg über den Einlass und es wurde plötzlich still, bis auf ein Gurgeln. Dafür begann sich ein Strudel zu bilden, in dessen Mitte die Plattform lag.
    »Tut mir leid, aber wir werden schwimmen müssen, so wie es aussieht«, bemerkte Marzin wie nebenbei in die Stille und Wolle schaute ihn entsetzt an.
    »Du glaubst, das Wasser steigt bis zur Decke? Das kann nicht dein Ernst sein! Was ist mit dem Abfluss?«
    »Viel zu kleiner Durchmesser, vergiss ihn. Du kannst natürlich auch tauchen, aber wofür du dich immer entscheidest, es wird nicht lange dauern. Ich wette, der Mechanismus sieht vor, den Keller bis zur Decke zu fluten. Die perfekte Menschenfalle.« Während er sprach, rasten seine Gedanken. Da kam ihm eine Idee und er suchte die Decke des Kellers ab, bis er ihn sah: im Strahl der Stirnlampe zeichnete sich in einem weit entfernten Eck ein kugelförmiger Behälter mit Tarnanstrich ab, knapp unter der Decke aufgehängt, in der Größe eines Fußballs. In diesem Moment begann das Wasser auch schon in die Stiefelschäfte der beiden Männer zu laufen. Sie mussten sich an der Kiste festhalten, um vom Strudel der steigenden Fluten nicht umgerissen zu werden.
    »Sie haben ein Flutventil installiert.« Marzin zeigte Wolle die Kugel. »Wenn das Wasser bis an die Decke gestiegen ist, hebt sich der Schwimmer und löst einen Kontakt aus. Dann sollte sich ein Abfluss öffnen und das Wasser wieder ablaufen.«
    »Und wir sind ertrunken«, stellte Wolle lakonisch fest.
    »Nicht unbedingt, du Pessimist, wenn es uns gelingt, das Flutventil früher zu öffnen. Wir müssen hinschwimmen und es schaffen, den Behälter nach oben zu drücken, bevor wir ertrinken wie …«, Marzin schaute den unentwegt vorbeitreibenden Kadavern nach, »… die Ratten.«
    Sie mussten die Kiste loslassen und wurden sofort von der kleinen Plattform geschwemmt, vom Strudel in verschiedene Richtungen weggerissen. Marzin versuchte, durch vorsichtige Schwimmbewegungen seinen Kurs zu beeinflussen, ohne mit dem Mund unter Wasser zu kommen. Wolle trieb irgendwo im Zentrum des Strudels herum, wie der Lichtstrahl seiner Stirnlampe verriet.
    Das Wasser stand Marzin bis zum Hals und die Panik kroch in sein Gehirn, machte sich breit und nistete sich ein. Das Gurgeln des einströmenden Wassers war alles, was er hörte, während die Kälte sich durch Pullover, Jeans, wollene Unterwäsche bis zu seinen Knochen durchfraß. Die Stirnlampe auf seinem Helm funktionierte noch und schickte einen zitternden, schmächtigen Strahl auf die vorbeitreibenden Ratten. Der Lichtkegel schwankte im Rhythmus seiner verzweifelten Schwimmbewegungen wie betrunken über

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