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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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betrachtete interessiert die zwei massiven Vorhängeschlösser mit ihren fingerdicken Bügeln und seltsam geformten Schlüssellöchern. »Die sind gar nicht so alt, wie sie aussehen. Ich vermute Zwanziger- oder Dreißigerjahre, nicht älter«, stellte Marzin fest. »Jetzt hätte ich gerne einen Seitenschneider, eine Metallsäge oder den richtigen Schlüssel.«
    »Klar, und ich ein Bier«, gab Wolle zurück und blickte unter die Kiste. »Ich würde vorschlagen, wir nehmen sie einfach mit und verschwinden von hier.« Er zwängte seine Hand unter die Holzkiste, tastete kurz und zog dann mit einem Ruck an einem Griff. Ein metallisches Geräusch ertönte. »Vier Riegel halten das Ding auf der Plattform fest«, erklärte er, »wie ich mir dachte. Sie mussten das Ding ja verschlossen hierherbringen, damit niemand einen Blick hineinwerfen konnte. Also konnten sie den Boden der Kiste nicht anschrauben.«
    »Du wirst mir langsam unheimlich, alter Mann«, gab Marzin zu und Respekt schwang in seiner Stimme mit.
    Als die Kiste endlich neben der Plattform auf dem Boden des Kellers stand und Wolle aus ihren völlig durchnässten Rucksäcken zwei wasserdichte Taschenlampen geborgen hatte, die ein beruhigend starkes Licht verbreiteten, warf Marzin einen Blick hinauf zum Behälter des Flutventils, zur Plattform und zur massiven Türe, die nun wieder offen stand.
    »Das war knapp«, meinte er ernst und er versuchte erst gar nicht, seine zitternden Hände vor Wolle zu verbergen.
    »Viel zu knapp«, gab der hagere Mann zu und nahm einen der Tragegriffe. »Mit ein bisschen weniger Glück hätten wir für die nächsten hundert Jahre den Ratten Gesellschaft geleistet. Und jetzt nichts wie raus hier. Ich traue dem Frieden nicht.«
    Die beiden Männer trugen die Kiste vorsichtig aus dem Keller. Keiner von ihnen ahnte, dass der Inhalt ihr Leben verändern würde.
    Kleinwetzdorf, Weinviertel/Österreich
    D er REX 2171 hatte den Bahnhof in Gmünd an der österreichischtschechischen Grenze planmäßig um 5:13 Uhr verlassen und rumpelte gemächlich durch die Morgendämmerung seinem Ziel, dem Wiener Franz-Josefs-Bahnhof, entgegen. Wie jeden Sonntag war er kaum besetzt und nur wenige Reisende genossen die Fahrt durch die dichten Wälder des Waldviertels und die hügelige Landschaft des Weinviertels.
    Über zwei Stunden sollte seine Reise aus dem nördlichen Niederösterreich in die Bundeshauptstadt dauern. Auf etwa der halben Strecke stieg die Sonne über den Horizont, und die Hügel, Felder und Wälder entlang der Bahnlinie erstrahlten in rotgoldenem Licht. Die ersten Lerchen erhoben sich in die Lüfte. Das ganze Land schien noch zu schlafen, nur wenige Autos glitten scheinbar lautlos über die verwaisten Bundesstraßen. Die Nachtschwärmer aus den Diskotheken strebten heimwärts, um in ihre Betten zu klettern, während die Kirchgänger und Bauern ihren Frühstückskaffee aufsetzten.
    Der Lokführer genoss jedes Mal die Ruhe und Intimität dieser stillen Augenblicke, die nur seinem Zug und ihm allein zu gehören schienen. Auch die wenigen Fahrgäste schliefen oder dösten vor sich hin.
    Die Geleise der Franz-Josefs-Bahn, dieses endlos scheinende Band aus Metall und Schwellen, glitzerten silbern vor der Lok in der Morgensonne. Westlich der Trasse im Morgendunst erkannte der Lokführer den Maissauer Berg und die hohen, dunklen Dächer der Türme von Schloss Maissau am Fuße der Anhöhe, die das Wald- vom Weinviertel trennte. Langsam machte sich der Lokführer bereit für den nächsten, planmäßigen Halt, dem Bahnhof Absdorf-Hippersdorf unweit von Stockerau. Die Häuser von Ziersdorf zogen bereits an ihm vorbei, als er vor Schreck zusammenfuhr. Direkt vor ihm auf der Strecke zuckte ein greller Blitz auf, dem sogleich weitere folgten. Eine gewaltige Staub- und Steinfontäne schoss hoch in die Luft und eine undurchdringliche Wolke begann sich direkt vor ihm aufzuwölben. Wenige Sekunden später erreichte die Schallwelle mehrerer Detonationen die Lok und zerriss die Stille.
    Der Lokführer war wie gelähmt vor Schreck. Der sonst so gemütliche Zug raste jetzt förmlich auf die Barriere aus aufgewirbelten Schwellen, Schotter, Erde und Staub zu. Alles lief viel zu schnell ab. Im nächsten Augenblick aktivierte der Fahrer die Notbremse und krallte sich an seinem Stuhl fest. Ein ohrenbetäubendes Ächzen und Kreischen ließ die Garnituren erbeben. Die Bremsbacken fraßen sich beinahe in die aufglühenden Bremsscheiben, Funken sprühten aus allen Achsen. Die

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