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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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»Die Ausrüstung dämpft den Aufprall! Eddy, hierher mit den restlichen Geschossen!«
    Der Wagen hatte inzwischen den abschüssigsten Teil der Strecke hinter sich gebracht und seine Geschwindigkeit stabilisierte sich, allerdings auf einem erschreckend hohen Niveau.
    »Lasst euch mit den letzten Granaten Zeit, ab jetzt können wir nur mehr langsamer werden«, schrie Wagner gegen den Fahrtwind und das Rumpeln der Räder an. Dann ratterte der Waggon über Weichen und verlor erneut an Tempo.
    »Das muss die Einmündung des anderen Tunnels gewesen sein.« Eddy nahm zwei weitere Rucksäcke und ließ sie von der Plattform gleiten. Die drei Männer wussten, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bis zur Mauer blieb.
    »Jetzt aber raus mit dem Rest!«, schrie Georg und drei weitere Granaten verschwanden, in Rucksäcke gepackt, auf dem Gleisbett im Dunkel.
    Gerade als Sina das letzte Geschoss verpacken wollte, sah er aus den Augenwinkeln einen Lichtpunkt. Er richtete sich auf, die Granate wie ein Baby in seinen Armen, und sah die Hohlziegelmauer vor dem Tiefspeicher der Nationalbibliothek auf sie zukommen.
    »Ach du Scheiße!«, rief er und dann: »Festhalten!« Die schwere Granate entglitt ihm, rollte unter eine der Bänke und dann war die Mauer auch schon da und alle versuchten sich abzustützen, so gut es ging. Die fünfzehn Tonnen durchbrachen die Hohlziegel wie eine dünne Styroporplatte und rissen ein riesiges Loch. Ein Schauer von Ziegel- und Glassplittern prasselte durch das Fahrgastabteil, in dem sich Paul, Georg und Eddy auf den Holzbänken verspreizt hatten.
    Es wurde schlagartig hell, als die Neonröhren im Tunnel das Wageninnere erleuchteten. Wagner sah die Granate im Mittelgang herumrollen, hechtete vor und riss sie an sich.
    »Paul, Achtung! Die Weiche!«, schrie Georg und zog mit festem Griff seinen Freund neben sich auf die Bank, als der Waggon ruckelnd von der Hauptstrecke abbog und durch das alte, zweiflügelige Metalltor rauschte. Das Rumpeln der Räder ging in einem Krachen und Poltern unter, und die drei Männer schlossen die Augen, als sie schlagartig wieder und immer wieder in die Bank gepresst wurden und es ihnen den Atem nahm. Dann war es plötzlich ganz still.
    Paul fühlte die Granate, die er noch immer an seine Brust gedrückt hatte. Sie war schwer, kalt und glatt, und als er seine Augen öffnete, glänzte ihm das gelbe Kreuz entgegen. Irgendwo ging eine Alarmanlage los und Steine kollerten vom Dach des Waggons, das sich unter der Wucht des Aufpralls verschoben hatte.
    »Endstation«, stieß Georg hervor und strich sich mit einer fahrigen Handbewegung die größten Ziegelsplitter aus den Haaren. »Wo immer auch.« Dann fiel sein besorgter Blick auf Paul und die Senfgasgranate. Er nahm ihm vorsichtig das Geschoss aus den Armen und legte es auf den Boden, der mit Glas und Ziegeln übersät war und aussah wie ein Schlachtfeld.
    Wagner wunderte sich, dass es im Inneren des Waggons taghell war. Er wollte etwas sagen, doch ein lautes Kichern Eddys ließ ihn aufschauen. Der Exringer stand wie ein Zugführer auf der vorderen Plattform, hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite – und lachte.
    Georg warf Paul einen alarmierten Blick zu. »Eddy scheint im wahrsten Sinne des Wortes gegen die Wand gelaufen zu sein«, flüsterte er und machte eine entsprechende Handbewegung.
    Eddys Stimme klang jedoch völlig rational, wenn auch von Lachanfällen unterbrochen: »Helmut hat nur teilweise recht«, sagte er fröhlich und sein Bauch zitterte, »das Licht ist nicht nur mit dem Lift gekoppelt, sondern auch mit der Stadtbahn …«
    Als Paul und Georg neben den noch immer kichernden Eddy traten und durch die fehlende Frontscheibe hinausblickten, trauten sie ihren Augen kaum. Meterhohe Regale voll mit Büchern bedeckten die Wände, einige ausrangierte Lesetische waren von dem alten Waggon zu einem Berg zusammengeschoben und aufgetürmt worden und wurden nun von den roten, rotierenden Lampen der Alarmanlage schlaglichtartig beleuchtet.
    »Willkommen im Tiefspeicher der Österreichischen Nationalbibliothek«, murmelte Paul fassungslos. »Ich war schon mal hier. Zur Leihstelle geht’s nach rechts hinten.«
    Café Prindl, Wien/Österreich
    D ie Truppe, die sich knapp vor sechs Uhr früh ins Prindl schleppte, war so abgekämpft, wie sie aussah. Es gab keinen, der in dieser Nacht nicht irgendwelche Abschürfungen oder Blessuren davongetragen hatte, humpelte oder nun beim Niedersetzen stöhnte. Der letzte Sturz im Tunnel

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