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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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schließlich die Parkanlage um die Kirche. Alles schien ruhig, zu ruhig. »Der Dom des Kaisers?«, fragte Paul gähnend und stieß Georg an, der auf der Rückbank neben Tschak eingenickt war. »Wir sind da, die letzte Runde hat begonnen.«
    Wie auf ein Stichwort begannen die Glocken zu läuten und ihr sonorer Klang, der seit hundert Jahren über Floridsdorf ertönte, ging den Insassen des VW-Transporters durch Mark und Bein.
    »Läuten die zu unserem Begräbnis?«, murmelte Sina und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Dann widmete er sich wieder dem Laptop auf seinem Schoß und begann zu tippen. Johann, der neben ihm saß, hatte schwarze Flecken im Gesicht und einige der Schrammen hatten sich entzündet. Franks Hände waren nach etlichen Stürzen im Tunnel des Arsenals mit Wundpflastern übersät und Helmut hatte vom Schotter der Stadtbahnstrecke aufgeschlagene Knie und Löcher in den Hosen.
    Tauben stiegen auf, stoben aus den Turmfenstern und den Luken im grün oxidierten Helm der Kirche. Die aufgeregt flatternden Vögel verschwanden eiligst im Morgengrau, vorbei an dem Ziffernblatt der Turmuhr, das 7:00 Uhr zeigte.
    Vor rund zwei Stunden war die Sonne über Wien aufgegangen. Einige schlaftrunkene Gestalten huschten mit hängenden Schultern aus den niedrigen Bürgerhäusern und den Wohnbauten, die im Oval um das große Gotteshaus aufgereiht waren, ihrem Tagwerk entgegen. Ein Radfahrer strampelte die verwaiste Fahrbahn entlang, im Gepäckkorb bündelweise die heutige Tageszeitung, die er in die Briefschlitze der Abonnenten steckte. »Terrorwarnung im Arsenal« lautete die Schlagzeile in Riesenlettern.
    Eddy zog eine Grimasse. »Das nenne ich Volksverblödung«, brummte er missgelaunt. »Am liebsten würde ich ihn vom Rad holen.«
    Ein paar ältere Damen, offenbar Opfer von seniler Bettflucht, saßen bereits auf den Parkbänken zwischen den Bäumen und fütterten die Spatzen. Die kleinen braunen Vögel stürzten aus den Ästen auf die Krümel der Frühstückssemmel oder des Kipferls herunter. Der Tratsch versiegte für einen kurzen Moment, als der schwarze Kleinbus wieder anfuhr und langsam um den Platz rollte. Schließlich, nach einer kompletten Runde um den Dom, parkte Eddy auf der kurzen Zufahrtsstraße zur Kirche.
    Der Motor verstummte und die Scheinwerfer erloschen.
    Niemand stieg aus.
    Die alten Frauen reckten ihre Hälse, aber sie konnten durch die getönten Seitenscheiben nichts erkennen. Sie tuschelten und wunderten sich, aber das Kennzeichen hatte noch keine hier gesehen.
    »Bogner Metallverarbeitung«, sagte eine leise, »kennt ihr die?« Alle schüttelten einmütig den Kopf.
    »Die sind sicher von außerhalb«, murmelte eine, »Fremde.« Damit warf sie noch eine Handvoll Körner zwischen die gefiederten Freunde.
    Eddy drehte sich um, zog den Zündschlüssel ab und meinte halblaut: »Der frühe Vogel fängt den Wurm … Aber was tun, wenn der Vogel dabei einschläft?«
    Georg saß auf der Rückbank und starrte mit geröteten Augen auf den Bildschirm von Johanns Laptop. Sein Gesicht wirkte durch die hellblaue Beleuchtung noch blasser, als es ohnedies schon war. Rund um seinen Bart kämpften sich schwarze Bartstoppeln an die Oberfläche und unter seinen tiefen Augenhöhlen zeigten sich bereits dunkle Ringe.
    »Warum hast du kein Schläfchen gehalten, wie die anderen, Professor?«, erkundigte sich Bogner und deutete mit dem Daumen auf die letzte Sitzbank, auf der Helmut und Frank leise vor sich hin schnarchten. Tschak, der zwischen ihnen saß, hob den Kopf und hechelte freundlich dem Exringer zu.
    »Nach der Schlappe vor der Rossauer Kaserne wollte ich ganz sicher sein, dass wir diesmal am richtigen Ort landen.« Er schaute müde durch das Seitenfenster auf die Kirche. »Unser Glück kann nicht ewig halten, Eddy. Das haben wir im Tunnel bis zur Neige aufgebraucht. Ab jetzt müssen wir noch besser vorbereitet sein oder wir werden Mittag nicht mehr erleben«, murmelte der Wissenschaftler und rieb sich die Augen. Er hatte das Gefühl, feinkörniger Sand hatte sich unter seinen Lidern breitgemacht. »Gebt mir noch ein paar Minuten. Mir ist es hier einfach zu ruhig«, setzte er hinzu und widmete sich wieder dem Laptop.
    Eddy warf wachsame Blicke auf die umliegenden Häuser und die wenigen Passanten. Dann rief er laut: »Aufwachen, die Hinterbänkler!«, und klatschte in die Hände. »Der letzte Akt beginnt und ich möchte auch diesmal keine Tragödie ohne Happy End erleben. Wir müssen uns an den Zeitplan

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