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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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die Seitentüren fehlten und so waren die Plattformen und der Fahrgastraum offen zugänglich. Alle Fenster waren noch intakt, lediglich die Frontscheibe wies einen großen Sprung auf.
    Georg und Johann waren die Ersten, die über die beiden Trittbretter vorsichtig in den Wagen kletterten, während Eddy bei einer ersten flüchtigen Inspektion des Bahnhofs keine Bewegungsmelder entdecken konnte und beruhigt Valerie und Paul ein Handzeichen gab.
    Der Stapel aus dreißig Senfgasgranaten lag in der Mitte des Fahrgastabteils, zwischen verschmutzten Holzbänken mit ihren elegant geschwungenen Haltegriffen, und sah aus wie eine Pyramide des Todes.
    »Das ist bisher die kleinste Ladung«, murmelte Johann, voll konzentriert. Georg schluckte und bewunderte die Ruhe des Sprengstoffexperten im Angesicht des furchtbaren Giftgases. Vor den fast blinden Fenstern huschten Lichtkegel hin und her, Sina hörte Berners Bass und Valeries Alt und hörte sie doch nicht. Er war ganz und gar fasziniert von dem Zünder, der an der Spitze des Stapels thronte, wie ein drohender Schlussstein. Er sah völlig anders aus als alles, was er je gesehen hatte. Ganz aus Glas, wie eine umgestülpte Qualle mit ihren langen Tentakeln, schien von ihm ein seltsames Leuchten auszugehen. Georg schloss die Augen und öffnete sie wieder, aber der fahle Schein blieb.
    »Ein chemo-elektrischer Zünder«, dozierte der Sprengstoffexperte und seine Stimme klang ruhig und professionell wie die eines Mechanikers vor einem banalen Zündkerzenwechsel. »Das sind die schlimmsten. Zwei Chemikalien erzeugen zu einer vorbestimmten Zeit eine Spannung, die erst verstärkt und dann in die Granaten geleitet wird. Löst zuverlässig jeden einzelnen der fünfzig Zünder aus.«
    Angesichts der unerschütterlichen Ruhe Johanns schaute Georg unwillkürlich auf die Uhr. Es war vier Minuten vor vier. Er räusperte sich. »Sollten …« Seine Stimme versagte und er setzte erneut an. »Sollten wir nicht vielleicht …«
    Johann hob abwehrend die Hand. »Das geht leider nicht.«
    Georg meinte nicht richtig gehört zu haben. Er schaute den Sprengstoffexperten fassungslos an.
    »Wenn wir den Zünder vorher bewegen, dann geht er sofort los«, murmelte Johann abwesend und ging vor dem Stapel in die Knie, bis er auf Augenhöhe mit der kleinen Glaskuppel war. »Sicherheitsschaltung.« Die Qualle schien plötzlich zu leben. Georg hatte mit einem Mal Angst, dass sie ihre Tentakel um den einzigen Mann legen würde, der sie hier noch lebend herausbringen konnte. Wenn überhaupt …
    Johann untersuchte die haarfeinen Drähte, die von dem Zünder zu den Granaten liefen. Es mochten etwa ein Dutzend sein, die sich kringelten und wanden, bevor sie schließlich zwischen den Granaten verschwanden. Der schmächtige Mann zog ein kleines Vergrößerungsglas aus der Tasche und sah noch genauer hin. Als er wieder aufstand, glaubte Georg, eine Schweißperle auf seiner Stirn zu sehen.
    »Chef!« Johanns Stimme schallte wie eine Alarmsirene und Eddy kletterte blitzschnell, mit einer Behändigkeit, die ihm niemand zugetraut hatte, in den Wagen und stand Sekunden später neben dem Sprengstoffexperten.
    Johann deutete auf eine der Haltestangen aus Metall, die an geschwungenen Haltern entlang dem Dach verliefen. »Schnell, Chef, wir brauchen eine davon.« Eddy griff wortlos mit beiden Händen zu, hängte sich mit seinem ganzen Gewicht an die Stange und riss kurz an. Mit einem schnalzenden Geräusch kam das Metallrohr frei und Eddy hielt ein Zweimeterstück triumphierend in der Hand wie eine olympische Fackel.
    Johann kniete schon wieder vor dem Granatenstapel, sein Gesicht nur Zentimeter von dem Zünder entfernt, und beobachtete aufmerksam die beiden Flüssigkeiten in den Phiolen.
    »Wenn ich Ihnen ein Zeichen gebe, dann schlagen Sie mit voller Kraft seitlich auf das Glas, wie ein Baseballspieler. Wir müssen das verdammte Ding exakt zu dem Zeitpunkt von der Pyramide wegschlagen, wenn die Flüssigkeiten reagieren, aber noch bevor der Strom fließt.« Johann blickte ernst auf Eddy, der bereits zielte und ausholte. »Chef, wir haben nur einen einzigen Versuch.«
    »Aber das Glas …!«, rief Georg aus, der entsetzt auf den nur Zentimeter vor dem chemischen Zünder knienden Sprengstoffexperten blickte.
    »Bruchsicher«, gab Johann tonlos zurück, ohne die Flüssigkeiten aus den Augen zu lassen. Und dann, nach einer kleinen Pause: »Glaube ich …«
    Das ist alles Irrsinn, schoss es Georg durch den Kopf, wir kämpfen hier

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