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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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mit den einfachsten Mitteln gegen eine übermächtige Maschinerie, die sich gegen uns verschworen hat. Er spürte plötzlich eine Hand auf seiner Schulter und schaute in Pauls fassungsloses Gesicht, der neben ihm stand und den Blick nicht von Eddy und der Haltestange wenden konnte.
    Und dann, zum ersten Mal in dieser Nacht, hatten beide Freunde Angst.
    Eddy hatte ausgeholt und wartete. Die Stange in seiner Hand zitterte leicht, aber der entschlossene Gesichtsausdruck des Exringers sagte alles: Jetzt und hier und ein für alle Mal.
    Johann hob die Hand und fixierte die Flüssigkeiten. Dann riss er seinen Arm nach unten, rief laut »Jetzt!« und Eddy drosch mit aller Kraft seitlich auf den Glaszünder, beförderte ihn mit einem furchtbaren Schlag quer durch das Abteil, über die Plattform, durch die Heckscheibe des Stadtbahnwaggons, die mit einem Knall in tausend kleine Stücke zersplitterte, und weiter bis zum Ende des Abstellgeleises, wo er hart auf den Boden aufschlug.
    Johann hatte seinen Kopf nicht bewegt, als die Stange keine zwanzig Zentimeter von seinem Gesicht entfernt durch die Luft gesaust war. Schließlich atmete er laut aus und legte die Stirn auf die kalten Granaten vor ihm.
    Georg schloss die Augen und Paul versuchte, seine zitternden Knie unter Kontrolle zu bringen. Nur Eddy schaute mit einem stolzen Gesichtsausdruck noch immer dem Zünder nach, ließ langsam die Haltestange sinken und murmelte erleichtert: »Vielleicht sollte ich doch mit dem Golfspielen anfangen …«
    »Unglaublich …« Kommissar Berner kletterte langsam auf die Plattform des Wagens und sah zum ersten Mal, seit ihn Wagner und Sina kannten, wirklich erschüttert aus. Er ließ sich auf eine der staubigen hölzernen Sitzbänke fallen. Im Licht der Scheinwerfer gruben sich die Falten tief in sein Gesicht ein.
    »Ist da noch ein Platz neben dir frei, Bernhard?«, fragte Paul leise, und als Berner nickte, zog er Georg mit sich auf die harte Bank, die unter dem Gewicht der drei Männer knackte. Der Kommissar griff umständlich in seine Tasche, zog ein Paket Zigaretten heraus, stellte fest, dass es leer war, zerknüllte es und warf es in weitem Bogen weg.
    »Eine gute Gelegenheit, mit dem Rauchen aufzuhören, meinst du nicht?«, murmelte Georg und schaute dann Eddy an. »Bei mir wäre es jetzt so weit, wenn ich jemals damit angefangen hätte. Man hängt plötzlich so sehr am Leben, wenn man länger mit euch unterwegs ist …«
    Johann erwachte aus seiner Erstarrung, nahm eine der Granaten vom Stapel und begann vorsichtig, den Zünder zu lösen und dann abzuschrauben. »Wir sollten erst einmal alle Granaten entschärfen, bevor wir darüber nachdenken, was wir mit ihnen machen«, meinte er und demontierte auch schon den Zünder des nächsten Geschosses.
    »Richtige Überlegung«, stellte Eddy fest und blickte fragend auf Sina, Wagner und Berner. »Was machen wir mit dem Senfgas? Wir können es nicht abtransportieren, auch wenn es nicht so viele Granaten sind. Andererseits haben wir diesmal auch keine Soldaten, um es zu bewachen. Irgendwelche Vorschläge?«
    »Wenn wir sie schon nicht mitnehmen können, dann sollten wir sie wenigstens verteilen«, kam da Valeries Stimme von der hinteren Plattform. »Ich hab da so eine Idee …«
    Als sich der alte Stadtbahnwaggon quietschend in Bewegung setzte, konnte es niemand glauben. Die fünfzehn Tonnen Eisen und Stahl, geschoben von Eddy und seinem Team, bewegten sich erst zentimeterweise, dann aber, einmal in Fahrt, folgten sie der Schwerkraft bergab. Zuvor hatten Frank und Manfred die Achslager geölt und Helmut versucht, die Bremse zu revitalisieren, die mittels eines großen Handrades von der hinteren Plattform aus betätigt werden konnte.
    »Ich habe keine Ahnung, ob sie funktionieren wird«, hatte der Kunstdieb zu Eddy gesagt, die Schulter gegen den Waggon gestemmt. Dann hatten alle nur mehr verzweifelt angeschoben, wieder und immer wieder, bis sich die Bremsbacken lösten und die Räder die erste Umdrehung machten.
    Eddy schwang sich auf die Stufen und dann in den Waggon und übernahm die Bremse, während Paul einen kleinen Stapel Granaten auf der vorderen Plattform überwachte. Georg hatte seine Geschosse im rückwärtigen Teil des Wagens aufgeschichtet und versuchte, Eddy nicht im Weg zu stehen, der den Großteil der Plattform ausfüllte. Die Rucksäcke mit der Ausrüstung des Teams lagen auf den Holzbänken und verliehen dem Inneren des Stadtbahnwaggons die Atmosphäre einer Klassenfahrt.

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