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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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gleiche Problem aufgetaucht. Wohin auf ein Bier oder einen Kaffee und einen kleinen »Heribert«? Das Wort war von einem Kollegen erfunden worden, der nicht Englisch sprach und das »earlybird« schnell eindeutschte, um daraus einen »Heribert« zu machen. Das geflügelte Wort blieb, und als Berner nach langer Nachtasyl-Suche auf das Café Prindl gestoßen war, hatte er ein zweites Zuhause gefunden, das ihn selbst in den frühen Morgenstunden beherbergte und verpflegte.
    Die Einrichtung des Prindl mit seinen roten und rosa Farben und den ovalen Formen war ein möbeltechnisches Zitat der Fünfzigerjahre. Aber das konnte Eingeweihte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Küche exzellent, die Bedienung diskret und schnell und die Besucher elitär waren, egal aus welcher Schicht der Bevölkerung sie stammten. Die Mischung aus Anrainern und Nachtschwärmern, Wiener Halbwelt und Taxifahrern, Huren und Polizisten, das war jahrzehntelang seine Welt gewesen. Mit seiner Pensionierung war sie nicht untergegangen, und wer Berner treffen wollte, der rief ihn entweder an oder kam gleich ins Prindl.
    Als Berner das Café betrat, blickten ungefähr achtzig Augenpaare auf und neunundsiebzig gleich wieder zurück auf ihren Kaffee, das kleine Gulasch, das Kartenspiel oder die Tageszeitung. Ein Augenpaar fixierte Berner, und als der Kommissar in die Runde schaute, trafen sich ihre Blicke. Berner seufzte und verzog das Gesicht, als er zu seinem Stammtisch ging und sich neben Paul Wagner setzte.
    »Wagner, Sie haben mir zu meinem Glück heute noch gefehlt«, brummte der Kommissar, »kennen Sie kein anderes Kaffeehaus? Oder was halten Sie zumindest davon, zur Abwechslung meine Privatsphäre zu respektieren und sich woandershin zu setzen?«
    »Ehrliche Antwort?«, fragte Wagner und hämmerte weiter in die Tastatur seines Laptops. »Gar nichts. Schön, Sie zu sehen, Kommissar.«
    »Das kann ich nicht behaupten und vor Mittag lüge ich so ungern«, gab Berner zurück und nickte dankend, als der Kellner ihm ungefragt einen doppelten Espresso mit einem Kännchen Obers brachte. »Welche medienpolitische Untat begehen Sie heute? Den Widerruf der gestrigen Meldung? Schreiben Sie wieder für eines der Revolverblätter, die noch immer glauben, Recherche sei etwas Unanständiges?«
    Berner rührte seinen Kaffee um und warf einen Blick auf die anderen Besucher des Prindl. Er und Wagner waren seit den Ereignissen im letzten Jahr gute Freunde geworden, nachdem der Reporter gemeinsam mit Georg Sina den Kommissar vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Aber beide liebten die Sticheleien, ein Ritual, das sich im Laufe der Zeit zwischen ihnen eingebürgert hatte, und weder Wagner noch Berner wollten den Schlagabtausch missen, der Ausdruck eines gegenseitigen Respekts und einer Wertschätzung war, die keiner offen zugegeben hätte. Dasselbe galt für das »Sie«, das beide aus Gewohnheit einfach weiter pflegten.
    »Sie liegen völlig falsch, Kommissar. Oder würden Sie die New York Times als Revolverblatt bezeichnen?« Wagner blickte nicht auf und schrieb die letzten Zeilen seiner Meldung über den Bombenanschlag und den Tod der österreichischen Ministerin.
    »Auch die amerikanische Presse ist nicht mehr das, was sie einmal war«, murmelte Berner und entschloss sich zu einem Croissant mit Butter und Marmelade. »Also, was sind die allerneuesten Neuigkeiten?«
    Wagner drückte auf »Senden« und schickte die Meldung damit an insgesamt drei amerikanische Zeitungen und die UMG, die United Media Group des Medienmoguls Fred Wineberg. »Das fragen Sie mich? Wer ist hier bei der Polizei?«, lachte er dann und klappte den Laptop zu.
    »War, Wagner, war! Ich genieße meine Pension und lebe zurückgezogen und faul ein Nichtstuer-Leben zwischen Café und Besuchen bei meiner Tochter. Und die langen Urlaube nicht zu vergessen.« Berner beäugte das Croissant und dachte an den Milchkarton. Dann biss er in die noch warme Köstlichkeit, die auf der Zunge zerging.
    »Wie war das mit den Lügen vor Mittag, Kommissar?« Der Reporter berichtete Berner von seinen Recherchen in Kleinwetzdorf an der gesprengten Bahnlinie. »Eine seltsame Gegend, dieses Anwesen. Ein früherer Besitzer hat einen Heldenberg eingerichtet, voller Büsten österreichischer Feldherren und Monarchen, nach dem Vorbild der deutschen Walhalla. Um das Schloss herum gibt es Löwentore mit geheimnisvollen Inschriften, die bisher keiner zu deuten wusste, darunter angeblich riesige Keller. Und das Seltsamste

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