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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Studenten hinwerfen.
    Insgeheim hatte er sich bereits entschlossen, das Tagebuch freundlich in Empfang zu nehmen, um es dann unter einem seiner Aktenberge zu begraben. Vielleicht würden ihm seine bürokratischen Verpflichtungen irgendwann ein wenig Zeit übrig lassen, es sich einmal in Ruhe anzusehen. Danach würde er es zu einem Assistenten am Institut für Neuere Geschichte zum Transkribieren bringen.
    Ireneusz Lamberg, bestimmt überglücklich, die Ergüsse seines Ahnen endlich lesen zu können, würde nie erfahren, dass Sina es nicht selbst übertragen hatte. Zufrieden stieg Georg in die Dusche und drehte das Wasser auf. Die Vorstellung vom knisternden Feuer im Kamin, einem Buch in seiner Hand und Tschak auf dem Sofa leise vor sich hin schnarchend nahm wieder durchaus realistische Formen an.
    Georg, du bist schon ein Teufelskerl, dachte er und genoss das heiße Wasser, das wie aus einem Wasserfall auf ihn herabprasselte. Das Läuten des Handys auf der Bettdecke ging im Rauschen der Dusche unter.
    Café Prindl, Wien/Österreich
    K ommissar Berner war stinksauer. Eine frühmorgendliche Analyse des Inhalts der Milchpackung im chemischen Labor der Kriminalabteilung hatte eine hohe Konzentration einer hochgiftigen Acrylamid-Lösung ergeben. Die Chemikalie mit dem Produktnamen Rotiphorese Gel, eingesetzt in Forschungslaboren der Molekularbiologie unter anderem zur Gen-Analyse, war tödlich.
    »Da scheint dich jemand wirklich nicht zu mögen, Bernhard«, hatte der Leiter des Labors angemerkt, als er für Berner den Untersuchungsbericht in verständliches Deutsch übersetzte. »Das Zeug gehört zur Standardausrüstung vieler Labors. In verschiedenen Konzentrationen und Zusammensetzungen gibt es diesen Stoff im gut sortierten Laborfachhandel. Ziemlich aggressiv. Wer mit der farb- und fast geruchlosen Chemikalie umgeht, muss Schutzkleidung und dicht schließende Schutzbrillen tragen, für leere Behälter gelten strenge Entsorgungsvorschriften.«
    »Jetzt bin ich wirklich beruhigt, dass ihr die Entsorgung übernehmt«, stellte Berner lakonisch fest und zündete sich eine Zigarette an.
    »Rauchen kannst du draußen, Bernhard, außerdem ist es sowieso nicht gut für deine Gesundheit«, stellte der Chemiker fest und wies auf das Zeichen mit der durchgestrichenen Zigarette.
    Berners Laune sank weiter. »Heute sind anscheinend alle um meine Gesundheit besorgt«, knurrte er. »Nur keine falschen Hoffnungen, ich bleibe euch noch länger erhalten. Was wäre gewesen, wenn …?« Berner ließ das Ende des Satzes offen.
    »Ziemlich endgültig. Bewusstlosigkeit, Nerven- und Herzstörungen, Tod. Abgang.« Der Leiter des Labors blätterte in seinen Unterlagen. »Außerdem ziemlich schnell. Sozusagen auf der Direttissima.«
    Als Berner auf die Straße trat, überlegte er tatsächlich für einen kurzen Augenblick, die Koffer zu packen und auf Urlaub zu fahren – seiner Tochter und seiner Enkelin zuliebe. Doch dann siegten Wut und Neugier. Dieser Milchkarton mit seinem tödlichen Inhalt in seinem Kühlschrank war etwas Persönliches.
    Wie hatte der Unbekannte gesagt? »Dinge sind in Bewegung gesetzt worden, die niemand mehr aufhalten kann. Sie nicht, Ihre Freunde nicht und selbst Wagner und Sina nicht.« Was ist in Bewegung gesetzt worden?, wunderte sich Berner, und was haben Sina und Wagner damit zu tun? Gewisse Vorkommnisse hatte der Anrufer es genannt. Also hatte Ruzicka recht gehabt. Es war mehr dran an dem Mord in Nussdorf und dem Tod der Ministerin. Vielleicht gab es tatsächlich eine Verbindung zwischen den beiden Fällen.
    Kommissar Berner dachte kurz nach und hörte dann auf seinen knurrenden Magen. Ein Frühstück war angesagt, und zwar dringend.
    Die Tische im Café Prindl waren fest in der Hand von Stammkunden. Böse Zungen behaupteten, man müsse entweder das Lokal kaufen oder warten, bis einer der Alteingesessenen das Zeitliche segne, um einen freien Tisch zu erobern. Das berührte Berner nicht im Geringsten. Er gehörte zur ersten Kategorie. Seit langen Jahren treuer Fan des Nachtcafés, das vierundzwanzig Stunden rund um die Uhr geöffnet war, hatte er nie Probleme, einen der begehrten Sitzplätze zu ergattern. Im Notfall zauberten die Kellner blitzschnell einen Sessel aus einem geheimen Depot herbei. Berner liebte dieses Lokal. Immer dann, wenn ein Fall ihn in den Jahren bei der Kriminalpolizei wieder einmal um den Schlaf gebracht oder er Ermittlungen um zwei Uhr früh abgeschlossen hatte, dann war da stets wieder das

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