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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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unsympathisch. Er sah aus wie ein in Schande ergrauter Buchhalter. Sein schmalschulteriger, dicklicher Körper steckte in einem um mindestens eine Nummer zu kleinen khakifarbenen Anzug. Bei erwarteten dreißig Grad im Schatten trug er ein langärmliges, hellblaues Hemd mit Manschettenknöpfen, weißem Kragen und Krawatte. Sein Gesicht glänzte, der Scheitel war akkurat gezogen. Das Gesicht dominierten kleine dunkelbraune Knopfaugen, und Georg fühlte sich zwangsläufig an einen überfütterten Goldhamster erinnert.
    Lamberg wiederum blickte auf die Nebenfahrbahn der Ringstraße hinunter. Im Schatten der Bäume bemerkte er auf Anhieb mehrere Parklücken und ärgerte sich über Sinas offensichtliche Lüge. Zögernd ergriff er die angebotene Rechte und im nächsten Moment wurden seine Fingerknöchel gequetscht, dass es leise krachte.
    »Freut mich auch, Sie kennenzulernen. Ein fester Händedruck, den Sie da haben …« Lamberg zwang sich zu einem Lächeln und massierte sich mit der Linken seine Finger. »Zeugt von einem festen Charakter.«
    Sina nickte beiläufig und war in Gedanken bereits ganz woanders.
    Lambergs Enttäuschung wuchs. Was er da sah, passte so gar nicht zu dem Mann, den Kirschner ihm beschrieben hatte. »Um ehrlich zu sein, ich habe Sie mir anders vorgestellt«, meinte er und musterte Sina von Kopf bis Fuß. »Ein … nun sagen wir, apartes Hemd, das Sie da anhaben …«
    »Ja. Sehr kleidsam. Oder finden Sie nicht?«, grinste Sina und strich sich über den Bauch.
    Ungläubig betrachtete Lamberg den weißen, geflügelten Totenkopf auf dem schwarzen T-Shirt. Über der erhaben geprägten Geschmacklosigkeit stand in leuchtend roten, gotischen Buchstaben: »No Limits Hardcore.« Darunter »come as you are«. Nach einem halbherzigen Übersetzungsversuch der Doppeldeutigkeit wurde Lamberg immer nervöser. In seinem Gehirn vereinten sich Puzzlesteinchen zu einem beunruhigenden Bild.
    »Kleider machen Leute, so sagt man doch, Professor Sina. Aber wenn es Ihnen gefällt … Mein Geschmack wäre es nicht gerade. Wo haben Sie es …äh, erstanden?«, begann Lamberg lahm und dankte im Geiste seiner Großmutter für die verhassten Teerunden vor den Bridge-Turnieren mit ihren Freundinnen. Sie hatte ihn schon als kleines Kind zur Teilnahme gezwungen, als erbarmungslose Übung für zwanglose Konversation.
    Georg war begeistert, der Tag war gerettet, der Ärger im Verkehr vergessen. »Volltreffer! Versenkt!«, rief er im Geiste und beobachtete den gegnerischen Kreuzer beim Untergehen. Mit gönnerischer Geste hielt er Lamberg die Tür zur Aula auf. Ebenfalls im Plauderton erklärte er dann: »Wissen Sie, mein Freund ist Journalist …«
    Lamberg erstarrte zur Salzsäule. Für einen kurzen Moment verlor er völlig die Contenance. »Ihr Freund?«, unterbrach er Sina mit geweiteten Augen.
    Der Wissenschaftler wollte losbrüllen vor Lachen, beherrschte sich aber. »Zwei zu null, mein Bester«, murmelte er und sagte dann laut: »Wie meinen Sie?«
    Lamberg war sprachlos, das Entsetzen spiegelte sich in seinem Gesicht. Da kam ihm Sina zu Hilfe, lachte und winkte ab. »Ach, nicht doch, nicht so, wie Sie meinen. Wie kommen Sie nur darauf?« Sina schaute unschuldig und fuhr dann fort. »Also, wie gesagt: Mein Freund …« Er legte eine genüssliche Pause ein. »Ein sehr enger Freund ist Journalist und kommt sehr viel in der Welt herum. Berufsbedingt, Sie verstehen. Ich habe nach den schrecklichen Ereignissen der letzten Nacht bei ihm in Wien geschlafen und mich nachher in seinem Kleiderschrank bedient. Dieses elegante Stück, das Sie so … beschäftigt, hat er auf einer Pressekonferenz geschenkt bekommen. Sie fand im Rahmen der Venus in Berlin statt.« Und drei zu null, dachte Sina unschuldig lächelnd, nicht mehr aufzuholender Vorsprung.
    Lamberg stotterte. »Venus? Sie … Sie … Sie meinen diese Erotikmesse? Für welches Blatt schreibt denn Ihr Freund?« Lamberg wollte sich gar nicht ausmalen, in welchen Kreisen dieser angeblich renommierte Fachmann für mittelalterliche Geschichte verkehrte.
    »Für keines im Speziellen und doch für alle. Er ist freier Journalist, ein sehr freier, wenn Sie wissen, was ich meine. Heutzutage darf man bei den Storys nicht wählerisch sein.« Sina zuckte mit den Schultern. »Wissen Sie, er lebt davon. Wir beide leben ja wohl von etwas anderem.«
    Wieder dieser gönnerhafte Unterton, dachte Lamberg und ärgerte sich.
    Sina warf einen prüfenden Blick auf den kleinen Mann, der artig neben ihm

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