Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
kannten ihn doch gar nicht, oder?«
»Nein. Das ist wahr.« Was für ein sonderbarer Dialog. Nachtigall begann sich noch unwohler zu fühlen, als er es ohnehin schon tat, wenn er Angehörigen die schreckliche Nachricht vom Tod eines Familienmitglieds überbringen musste. Er beobachtete den alten Mann nachdenklich. Erschüttert schien er jedenfalls nicht zu sein – eher irritiert.
»Mein Sohn hatte viele Fehler, Schwächen, wie auch immer Sie das nennen wollen. Nicht alle waren verzeihlich. So wundert es mich eigentlich nicht, dass ihn jemand umgebracht hat. Wie ist es denn passiert?«
»Er wurde von hinten erstochen. Direkt ins Herz. Der Arzt meint, er müsse sofort tot gewesen sein.«
»Von hinten!«, empörte sich Wilhelm Mehring. »Feige! Tja, die Zeiten sind wohl endgültig vorbei, als man noch wusste, was sich gehört. Dem Feind ins Angesicht sehen! Aber von hinten! Nein, also wirklich!«
»Wer konnte ihm denn seine Schwächen nicht verzeihen?«, hakte Nachtigall sanft nach.
»Ich! Ich zum Beispiel. Mein Sohn war ein lausiger Chef – er hätte die Firma beinahe ruiniert! Von mir hat er eine prosperierende kleine Spedition übernommen, aber ihm fehlte jedes Verständnis für Zahlen.«
»Wie lange existiert die Spedition denn schon?«
»Seit 120 Jahren! Am Anfang hatten wir sogar noch zwei Kaltblütergespanne, die Transportkutschen zogen. Zu DDR-Zeiten lief die Firma zwar auf Sparflamme – aber sie hat immer zuverlässig die Familie ernährt. Ersatzteile für die Wagen waren damals ein Problem, aber es gab immer irgendeine Lösung. Und nach der Wende ging’s aufwärts mit dem Betrieb. Alle hatten plötzlich was zu transportieren! Wir konnten bald neue Fahrzeuge anschaffen, unser Angebot ausweiten. Seit sieben Jahren leitete nun mein Sohn das Unternehmen – und nur von einer Krise in die nächste!« Er hatte sich in Rage geredet, plötzlich zuckte er zusammen und senkte die Stimme etwas. »Er war einfach ungeschickt. In vielen Dingen«, stellte er abschließend nüchtern fest.
»Hatte jemand Grund, Ihren Sohn so zu hassen?«
»Tja, schwer zu sagen. Er war ein Mensch, der es nicht nur seiner Familie schwer gemacht hat, ihn zu lieben. Und seit ich ausgezogen bin, weiß ich ohnehin nur noch, was mir meine Enkel bei ihren seltenen Besuchen so erzählen. Meiner Schwiegertochter würde es nicht einfallen, mich zu besuchen. Sie geht jedem Streit aus dem Weg.«
»Soll das heißen, Ihr Sohn hat der Familie den Umgang mit Ihnen verboten?«, Nachtigall war perplex. Solch ein patriarchalisches Verhalten war ihm schon lange nicht mehr begegnet.
»Ja.«
»War Ihr Zerwürfnis nicht zu kitten?«
»Ich fürchte, ich habe ihm einmal zu viel vorgeworfen ein Totalversager zu sein. Meinen Sie nicht, das reicht für einen Riesenkrach mit anschließendem Rauswurf?«
Peter Nachtigall hustete verlegen. Nun ja, dachte er, im Alter von Hans-Jürgen Mehring war man nicht mehr bereit, sich vom eigenen Vater in dieser Weise beschimpfen zu lassen.
»Sie sind finanziell unabhängig?«
»Oh ja. Dafür habe ich stets Sorge getragen. Rauswerfen konnte er mich – ruinieren nicht.«
»Was haben wir?«, Nachtigall sah Michael Wiener und Albrecht Skorubski auffordernd an.
»Bisher noch keine wirklich neuen Informationen. Er war Eigentümer einer kleinen Spedition, war seit 32 Jahren verheiratet, zwei Söhne, der ältere, Paul, studiert an der BTU ›Environmental and Ressource Management‹ im Masterstudiengang, der jüngere hat die Schule abgeschlossen und Hannemann glaubt, dass er nun das Unternehmen weiterführen wird. Mehring war aktiv im Fußballverein, hat auch kleinere Spenden beigesteuert und war Vorstandsmitglied im Karnevalsverein. Da muss der Ärger mit dem Sohn ja vorprogrammiert gewesen sein«, fasste Skorubski zusammen. »Kein Wunder, dass der ausgezogen ist.«
»Haben wir seine Adresse?«
»Ja. Er wohnt nah bei der BTU in der Petersilienstraße.«
»Und die Videobänder?«
»Jede Menge Material. Auf den meischte siehsch du nur irgendwelche Fans, die randaliere. Bilder, die die Kollege ebe besonders interessiert habe. Aber es isch no viel Material übrig.«
»Gibt es denn überhaupt Bilder von dieser Seite der Tribüne?«
»Ja, scho. Der Kollege Hannemann meint, es müsstet welche komme – ich soll halt die Geduld net verliere ...«, seufzte der junge Mann wieder einmal im schönsten Dialekt.
»Bleib dran. Vielleicht sehen wir tatsächlich den Mord!«
»Ich hab meiner Freundin versproche, dass wir heut
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