Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
gefesselt.« Er sah einen Kollegen von der Spurensicherung fragend an, und als dieser nickte, tauchte Jonas unter dem Absperrband durch. Der Amtsarzt tastete nach den Füßen des Toten. Als er die Leiche auf den Bauch drehte und die nassen, etwas zu langen Haare, die bereits Eiskristalle ansetzten, dem Toten aus dem Nacken schob, wurde eine Wunde am Hinterkopf sichtbar. Der Arzt legte ihn wieder auf den Rücken. Erst jetzt sah man, wie sehr das Gesicht des Toten verunstaltet worden war. Die Nase eingeschlagen, die Augen hatten wohl die Fische aufgefressen, an den Wangen standen die Knochen hervor. Es gab keine Anhaltspunkte mehr zur Identität des Mannes.
Hinter Berenike entstand Gedränge, die Menge wogte in Richtung Absperrband.
»Zurückbleiben!«, rief Kain streng. »So bleiben Sie doch zurück! Hier gibt es nichts zu sehen.«
Die Menge murrte durcheinander.
»So ein Blödsinn.«
»Wir sehen doch, dass da was ist.«
»Bitte, gehen Sie!« Kains Worte waren Befehle. Er nickte zwei Kollegen zu, die wortlos einen Sichtschutz aufstellten.
Enttäuscht drehten sich die Neugierigen zueinander um. Einige gingen, viele blieben stehen, murrten, traten in der Kälte von einem Bein auf das andere.
»Nackt und verstümmelt!« Eine junge Frau in einem kurzen schwarzen Mantel brach in hysterisches Schluchzen aus und schlug die Hände vors Gesicht. »Wer macht so etwas?«
»Es tragt halt nicht, das Eis«, erklang eine raue männliche Stimme. Berenike erkannte Hermann, den Bergführer mit seinem hervorstehenden Unterkiefer, ein Gesicht wie ein Pferd. Er mochte an die Fünfzig sein. »Das sollt doch jeder wissen.«
»Touristen sind leichtsinnig«, ergänzte der Fischer Johann neben ihm, der immer ein wenig unkonzentriert wirkte. »Die Leut schauen gar nicht nach’m Himmel, und zack, schon kommt ein Unwetter. Oder sie vergessen die Zeit, haben keinen Sprit mehr am Boot und dann rufen’s mich vom Handy aus an, damit’s abg’schleppt werden.«
»Aber jetzt ist Winter, jetzt gibt’s keine Angler.«
»Nein.«
Ins Eisloch trudelte gerade etwas. Ein Taucher bückte sich und fischte den Gegenstand heraus. Es handelte sich um einen grünen Filzhut, grün wie ihn Jäger gern trugen, aber auch viele andere hier im Ausseerland. Berenike suchte den Blick von Jonas, aber der war damit beschäftigt, mit den Tauchern zu sprechen.
»Ja, ja, die Strömungen«, murmelte ein Schaulustiger.
Berenike wandte sich ab. Kaum jemand beachtete sie, als sie sich durch die Menge kämpfte. Müde, furchtbar müde stapfte sie durch den Schnee zurück zu ihrem Salon. Der kurze Weg schien plötzlich kein Ende zu nehmen. Still war es im Gastraum, niemand war geblieben, alle waren sie neugierig zu dem makaberen Fund im Eis gelaufen. Nur das Kind fand sie in der Küche bei Hans, es saß auf dem Tisch und baumelte mit den stämmigen Beinen. »Er hat mir nur verraten, dass er Florian heißt.« Hans blickte Berenike an und wirkte dabei ungewohnt ratlos. »Einen Ausweis oder so hat er nicht bei sich. Was machen wir mit ihm?«
»Jonas will mit ihm reden. Aber wer weiß, wann das sein soll.«
»Ich könnt ihn mit zu mir nehmen.« Hans sah Florian fragend an. »Was meinst? Kommst mit und schlafst bei mir und meiner Frau?«
»Das würdest du tun? Dann geb ich Jonas kurz Bescheid.«
Der Kellner nickte. »Bevor er in ein Heim muss …«
»Ja, wer weiß.« Berenike telefonierte und nach einem kurzen Zögern stimmte ihr Liebster zu. »Das ist kurzfristig wahrscheinlich die einfachste Lösung.«
»Danke.« Berenike legte auf.
Der Kleine schaute noch immer, als wär er zu Eis erstarrt. Kaltem, harten, blanken Eis. Hans redete beruhigend auf ihn ein. »Zu wem gehörst du denn? Wo sind deine Eltern?« Keine Antwort. »Na, kommst mit mir, dann darfst auch meinen Teddy haben in der Nacht.«
»Du hast einen Teddy?« Die ersten Worte, die der Kleine sprach. Hans zog ihm die Jacke an. Wirklich ein Mann für jede Lebenslage, ihr Kellner. Den würde sie um alles in der Welt nie wieder hergeben. Die beiden verließen das Lokal und Berenike hörte Hans den Wagen starten.
Sie schloss ab, räumte das schmutzige Geschirr in die Küche und legte neue, dunkelrote Tischtücher auf. In all dem Kummer fiel ihr wieder auf, wie hübsch das zu den zartgrünen Wänden aussah. Schönheit war ein Trost, wie so oft. Vor ihr inneres Auge schob sich der Tote, nass und kalt und unbekannt, und sie schauderte hilflos.
Zeit, heim zu gehen und nach den Katzen zu sehen. Sie wollte
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