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Narrentod

Titel: Narrentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Deutsch und Geschichte sah ich meine Klasse mehrmals wöchentlich. Es war ein eher durchschnittlicher Jahrgang. Immerhin befolgten sie mehr oder weniger die Regeln von Anstand und Ordnung. Zwei Dinge, die nicht nur die relative Erträglichkeit des Schulalltags für die Lehrkraft mitbestimmen, sondern zweifellos auch die Erträglichkeit der Lehrkraft für die Schülerschaft. Oder täusche ich mich da?
    Einem meiner Schüler musste besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Eltern hatten mich in einem mehrseitigen Brief vorgewarnt und in einem langen Gespräch anlässlich des ersten Elternabends ausführlich informiert. Ihr Sohn leide an Epilepsie. Sie gaben mir Verhaltensregeln und eine Notrufnummer. Während der Studienwoche in Lausanne hätte ich dann beides gebrauchen können.
    Auf dem Genfersee bei der Überfahrt von Vevey nach Evian erlitt der besagte Schüler vor lauter Begeisterung über das schöne Erlebnis einen Anfall. Zum Entsetzen der zahlreichen Schiffspassagiere lag er zwischen den Holzbänken auf dem Oberdeck und schäumte aus dem Mund. Jemand hätte helfen sollen. Ich war nicht in der Lage. Ich war nämlich gar nicht an Bord. Nachträglich habe ich eingesehen, dass es ein Fehler war, meine Klasse selbstständig auf die Rundfahrt zu schicken. Aber ich hatte damals dringend Ruhe nötig.
    Wenn man jahrelang allein haust, kommt es einer glatten Zumutung gleich, eine Woche lang rund um die Uhr in einer Art Großfamilie leben zu müssen. Ich hielt es für vertretbar, der Schulklasse das Kollektivbillett zu lösen und sie zum Schiff zu begleiten, das nach zweistündigem Rundkurs zur selben Anlegestelle zurückkehren würde. Musste ich wirklich mit einem solchen Zwischenfall rechnen?
    Der Epileptiker wand sich angeblich auf dem Boden, ohne dass ihm jemand die einengende Jacke geöffnet und ihn davor beschützt hätte, dass er sich zusätzlich verletzte. Der Schüler schlug sich auf den Schiffsplanken den Schädel wund, bevor er wie ein Fisch an Land qualvoll erstickte.
    Nach Meinung des zuständigen Richters hatte ich eindeutig meine Aufsichtspflicht verletzt. Ich wurde dennoch nur auf Bewährung verurteilt und hätte im Prinzip meinen Schuldienst fortsetzen können. Da setzte sich Lilo Barben-Bigler in Szene und hops, war sie weg, meine Stelle. Kam das nicht einem Rufmord gleich? Unmöglich, in der Region noch eine Stelle als Lehrer zu finden. Statt aber aus der Gegend zu verschwinden, habe ich dem Gerede getrotzt und mich selbstständig gemacht. Als Privatdetektiv. Sollte ich klein beigeben? Zukünftig wollte ich jenen Bürgern die Leichen aus den Kellern heben, die mich zu Unrecht verurteilt hatten. Bisher habe ich dazu allerdings noch wenig Gelegenheit gefunden.
    Seitdem widme ich mich vermehrt meinen Hobbys, der Kalligrafie, der Grafologie und den Geheimschriften. Alles, was mit Schreiben und Schriften zu tun hat, fasziniert mich. Ich sammle zudem Füllfederhalter und Tintenfässchen. Eine Marotte. Als Grafologe bin ich allerdings ein Laie, als Kalligraf ein Dilettant. Was bin ich als Lehrer gewesen?
    Hie und da grüßen ehemalige Schüler und Schülerinnen auf Perron zwei, Richtung Bern. Dort besuchen sie Vorlesungen an der Uni. Manche wohl auch an der Pädagogischen Hochschule. Später werden sie selbst unterrichten. Ob sie nachträglich Verständnis für meinen Fall aufbringen werden? Fall Feller?
    Hoffentlich kann man mich wenigstens als Detektiv brauchen. Immerhin, der Stadtpräsident schwört auf mich. Keine schlechte Referenz. Nur, was weiß ich bis jetzt über den Fulehung-Mörder? Wer sind die Verdächtigen? Warum hat gerade Beat Dummermuth sterben müssen? Noch immer fehlen die Antworten.
    Erneut ergreife ich die keulenförmige Flasche mit der dunkelbraunen Etikette und schenke mir nach. Der Syrah kreiert Ideen in meinem übermüdeten Hirn. In erster Linie die Idee eines langen, tiefen Schlafes. Davon kann aber noch längst keine Rede sein. Was erzähle ich morgen der Polizei?

14
    Ich bin definitiv kein Frühaufsteher.
    Dienstag, 7.30 Uhr, und schon im Büro von Hauptmann Geissbühler. Eine Leistung. Aber er scheint auch Mühe zu haben. Seine eng gebundene Krawatte schließt gewaltsam den Hemdkragen, dessen oberster Perlmutterknopf übergangen worden ist. Darum drängt der eine Kragenzipfel jetzt asymmetrisch gegen den frisch rasierten Hals und saugt sich wie ein weiß gestärkter Vampir an einem gekappten Pickel mit Blut voll.
    »Herr Geissbühler, Sie bluten«, sage ich.
    »Bitte?«
    »Am

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