Narrentod
nach Hause«, schlage ich vor.
»Gut. Ich versuche herauszufinden, ob an der Informatikgeschichte was dran sein könnte«, verspricht mein nimmermüder Assistent.
»Morgen um 7.30 Uhr muss ich auf dem Polizeiposten an der Allmendstrasse antraben. Hauptmann Geissbühler verlangt einen mündlichen Zwischenbericht. Jüre, wir treffen uns danach um 9 Uhr im Burg-Café beim Knabenschützenhaus. Um 9.30 Uhr wird noch Erika Eichenberger dazustoßen. Ich habe sie zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Ich vermute, ich habe sie damit neugierig gemacht .«
»Kein Wunder, bei der Geheimniskrämerei. Die Geheimhaltung erschwert die Ermittlungen doch beträchtlich«, bedauert Jüre.
»Richtig. Für jede Befragung muss ich mir einen neuen Vorwand aus den Fingern saugen«, bestätige ich. »Glücklicherweise hast wenigstens du einen guten Zug, Jüre .«
Ich stoße mit seinem leeren Glas an und kippe mein Helles, ohne ein weiteres Mal abzusetzen.
13
Von den Bergen weht der Föhn.
Ich genieße auf meiner nächtlichen Töfflifahrt den milden Gegenwind. Es geht nach Hause. Endlich. Ich wohne im Hofstettenquartier. Schön zentral, in einem Altbau mit Sicht auf den See, wenn die hohen Bäume keine Blätter tragen. Also eigentlich nur im Winter. Die Bäume stehen unter Naturschutz. Da ist nichts mit kappen. Aber immerhin kann ich im Sommer den nahen See riechen. Und die Enten und Schwäne höre ich, wenn sie in der Stille der Nacht schnattern und mit ihren Flügeln schlagen.
Mein Moped stelle ich wie immer in den schmalen Hausgang, sichere es mit einer monströsen Metallkette und steige über eine ausgetretene Steintreppe in den ersten Stock. Im Treppenhaus mieft es nach Katzenpisse, feuchtem Verputz und Kellerasseln. Das Grundwasser drückt in den Keller. Die Nässe steigt die Wände hoch. In wenigen Jahren will die Stadt darum den Bau abreißen und durch Eigentumswohnungen ersetzen: Zeitgemäßes Residieren in einer großzügig konzipierten Wohnoase mit gehobenem Ausbaustandard, heißt es in einem Inserat. Ist residieren tatsächlich noch zeitgemäß?
Dann werden wohlhabendere Leute, als ich es bin, in die dichten Baumkronen starren und von der ganzjährigen Seesicht träumen. Bis auf Weiteres aber bin ich es, dem der Verkehr auf der Hofstettenstrasse durchs Küchenfenster dröhnt. Auf dem Fensterbrett steht ein hölzernes Blumenkistchen mit Kapuzinerkresse. Schnittlauch, Oregano und Petersilie, die ich im Frühjahr dazugesät habe, sind unter der opulenten Vegetation der dominanten Kresse im Keim erstickt. Darum würze ich meine Salate diese Saison ausschließlich mit den Blüten der Kapuzinerkresse. Damit gewinnt die Optik jedes Salattellers. Der Geschmack dagegen bleibt gewöhnungsbedürftig. Die schönen Blüten in Orange-, Gelb- und Rottönen wuchern bereits den ganzen Sommer über den blättrigen Verputz der Fassade hinunter. Die Küchenausstattung dürfte aus den frühen Fünfzigerjahren stammen. Pastellfarbene Schrankverkleidungen in Hellblau und Gelb, eine völlig zerkratzte Chromstahlabdeckung und ein grau-gelb gesprenkelter Linoleumboden vermitteln studentischen Charme. Die zitronengelben Gartenmöbel, die ich für ein Trinkgeld vom Vormieter übernommen habe, stehen vor dem Küchenfenster. Die Gardinen habe ich entfernt. Ich will meine Kresse sehen.
Ich schiebe ein Betty-Bossy - Fertiggericht in die verkleckerte Mikrowelle und sitze drei Minuten später am Futtertrog. Zu den Älplermakronen gönne ich mir ein Gläschen Tunesier: Syrah Mornac, AOC Tunisie, Villa Kassàr, grand cru, 2002. Trinktemperatur und Genussreife stimmen. Den Alkoholgehalt von 12,5 % erachte ich als angemessene Steigerung nach all den Bieren.
Mein Lieblingstropfen zeichnet sich durch ein kräftiges, dunkles Kirschrot und eine konzentrierte, reife Beerenaromatik aus. Der fein würzige und etwas pfefferige, weiche Gaumen und die breite und füllige Mitte bilden eine angenehme Rundheit. Schöne Gerbstoffe verleihen dem Wein das Rückgrat und die lange Nachhaltigkeit. Er passt zu Pasta. Er passt mir. Basta!
Es widerspricht mir niemand. Ich bin ledig und lebe allein. Mit 51 Jahren macht man sich bezüglich fester Beziehungen keine Illusionen mehr. Und auch beruflich nicht. Es war schon eine dumme Geschichte, damals. Nie hätte ich es aber für möglich gehalten, dass ich darum meine Lehrtätigkeit aufgeben müsste.
Rund neun Jahre ist es jetzt her. Ich übte damals zum letzten Mal die Funktion eines Klassenlehrers am Progy aus. Als Lehrer für
Weitere Kostenlose Bücher