Narrentod
Türe zugeknallt. Was hat eigentlich dieser Schüler beobachtet ?«
»Das weiß ich noch nicht. Seine Identität scheint ja noch unklar zu sein. Ich gehe sicherheitshalber nochmals zu Giovanni Righetto. Falls tatsächlich er die Person war, die sich im Schulhaus aufgehalten hat, ist er vielleicht auch imstande, uns weitere nützliche Beobachtungen mitzuteilen«, hofft Jüre.
»Unbedingt. Tu das gleich im Anschluss. Immerhin ist auch nicht ganz auszuschließen, dass ausgerechnet dieser Jugendliche der Täter ist. Wann genau hat der Bursche das Schulhaus verlassen? Vor oder nach dem Mord? Wie ist er verschwunden? Durch den Haupteingang oder durch die Gartentüre?«
»Das kläre ich ab«, bestätigt mein Assistent, und ich füge an: »Quetsche ihn so richtig aus .«
»Klar. It’s a dirty job, but someone’s got to do it«, meint Jüre, erhebt sich und verlässt mit einem eleganten Sprung die Terrasse wie Daniel Craig als blonder Bond, James Bond.
In diesem Augenblick taucht, wie erwartet, Gemeinderätin Akert auf. Ihre hennarote Mähne bildet einen auffälligen Komplementärkontrast zum satten Grün des geschmückten Scheibenstandes, der im Hintergrund den optischen Abschluss bildet. Sie trägt ein elegantes Deuxpièces aus grob gewobenem, violett-grau-gelbem Wollstoff im Stil von Coco Chanel. Ihre Füße stecken in grauen Pumps. Am Arm baumelt eine senfgelbe Handtasche aus hochglänzendem Rindsleder. Fehlt eigentlich nur noch ein keckes Hütchen. Frau Doktor zeigt Stil. Kompliment. Aber sie kann es sich auch leisten.
Das heißt, eigentlich vertrete ich bei solchen Gelegenheiten die Meinung, Stil sei nicht in erster Linie eine Frage des Geldbeutels, sondern des guten Geschmacks. Andererseits ist mir klar, dass schöne, hochwertige Materialien ihre sinnliche Qualität nach der aufwendigen Verarbeitung durch ein bekanntes Label besser entfalten. Hoffentlich ist Frau Akert nicht die Mörderin. Was sollte sie bloß im Gefängnis tragen?
Frau Akert steuert zielstrebig auf meinen Tisch zu.
»Bin ich zu spät ?« , fragt sie besorgt und setzt sich auf den freien Stuhl mir gegenüber. Die auffällige Handtasche stellt sie neben sich auf den Boden.
»Nicht im Geringsten. Frau Akert, was darf ich Ihnen bestellen ?« , erkundige ich mich, froh darüber, dass sie den Termin nicht vergessen hat. Sie gilt allgemein als überlastet.
»Für mich nur ein Mineral, bitte .«
Das bevorstehende Gespräch wird dadurch erschwert, dass mir nicht klar ist, ob sie als Gemeinderätin über die aktuellen Vorkommnisse Bescheid weiß. Hat ihr der Stapi vom Mord erzählt? Ich muss vorsichtigerweise davon ausgehen, dass sie nicht eingeweiht wurde. Es geht darum, zu klären, wieweit sie Beat Dummermuth als gefährlichen Konkurrenten einstuft. Würde sie allenfalls so weit gehen, ihn eliminieren zu lassen?
»Ganz schön im Stress, als Gemeinderätin und Zahnärztin mit eigener Praxis ?« , beginne ich meine Befragung.
»Das können Sie laut sagen, Herr Feller .«
»Dennoch kandidieren sie als Bisherige erneut, soviel ich weiß ?«
Frau Akert mustert mich misstrauisch.
»Was wollen sie damit antönen ?«
»Nichts Besonderes. Ich meine nur, dass sie den Stress minimieren könnten, wenn Sie sich wieder ganz auf Ihre Praxis konzentrieren würden. Immerhin liegt eine parteiinterne Gegenkandidatur vor .«
»Ich leiste in meiner Praxis ganze Arbeit. Es liegen meines Wissens keine Reklamationen vor. Oder können Sie mir das Gegenteil beweisen? Und meinen Verpflichtungen als Gemeinderätin bin ich bisher immer vollumfänglich nachgekommen. Ich nehme mir ja sogar Zeit für ein Gespräch mit Ihnen, Herr Feller. Muss ich Ihnen noch meinen Leistungsausweis unter die Nase reiben ?«
Hoppla. Da hab ich sie aber auf dem falschen Fuß erwischt.
»Nein, nein. Ich will Sie weder als Politikerin noch als Ärztin kritisieren. Ich denke nur, dass die Gegenkandidatur von Beat Dummermuth für Sie auch eine Chance darstellen könnte. Sie könnten das Pensum reduzieren und sich ohne Gesichtsverlust aus dem politischen Tagesgeschäft ausklinken .«
»Vielleicht will ich das gar nicht? Wollen Sie mich loswerden, Herr Feller? Was ist das für ein befremdliches Interview? Ich habe gemeint, ich soll als Mitglied der Kadettenkommission über das Gesslerschießen Auskunft geben? Stattdessen komme ich mir vor wie bei einem Verhör .«
»Selbstverständlich, Frau Akert. Entschuldigen Sie den unglücklichen Gesprächsauftakt. Können Sie etwas über die Favoriten
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