Narrentod
der Fulehung noch immer neben ihr und fragt mit besorgter Stimme ein ums andere Mal: »Margret, was hast du? Schatz, mach doch die Augen auf .«
19
Noch genau 25 Minuten bis zum Abmarsch des Umzugs.
Ich habe mich nach langem Warten aus dem Gewühle beim Knabenschützenhaus befreien können und bin mit nur fünf Minuten Verspätung im Rathaus eingetroffen. Den Stapi freut’s. Ich schildere ihm den Zwischenfall beim Gesslerschießen. Das lenkt von der Tatsache ab, dass ich über die Täterschaft noch immer nichts Konkreteres berichten kann.
»Mach es kurz, Hanspudi. Ich muss gleich raus. Du weißt ja. Ich marschiere im Umzug mit .«
»Dann stell deine Fragen, Rüfe .«
»Hast du den Täter ?«
»Nein.«
»Kennst du wenigstens seinen Namen ?«
»Nein.«
Rüfe guckt enttäuscht. Er sucht nach einer nächsten Frage. Ich glaube, er will mir eine Chance geben, mein Gesicht zu wahren.
»Hast du mindestens einen begründeten Verdacht ?«
»Mehrere.«
Er pausiert, räuspert sich, pausiert erneut, fährt sich mit der rechten Hand mehrmals über den Bauch und meint schließlich: »Da wäre weniger, aber mehr, das weißt du ?«
»Ich verstehe .«
»Können wir den Umzug gefahrlos durchführen ?« , will der besorgte Stadtvater wissen.
»Man kann es wagen, meiner Meinung nach .«
»Hm. Dann bleib dran, Hanspudi. Viel Glück. Ich muss .«
Rolf von Siebenthal dreht sich auf dem luftgefederten Bürosessel von mir ab, bückt sich, um die Schnürsenkel zu lösen, und befreit ungeniert seine qualmenden Flossen. Dann öffnet er die unterste Schublade seines imposanten Schreibtisches und entnimmt ihr ein paar nigelnagelneue Wanderschuhe der Marke Mephisto. Auf Teufelssohlen will er hinter der Teufelsmaske hermarschieren. Als wäre nichts geschehen. Als lebte Beat Dummermuth noch immer. Als wäre der Fulehung unsterblich. Rüfe montiert das robuste Schuhwerk und erhebt sich ächzend.
Erst jetzt finde ich Gelegenheit, mich zu verabschieden. Ich drücke ihm die Hand, und er sagt dazu: »Ich drücke dir die Daumen .«
Typisch Politiker: Worte, nur Worte.
Ich beschließe, mir den Umzug der Kadetten ebenfalls anzusehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, mich dadurch der Lösung des Falls zu nähern. Möglich, dass ich dieses Bauchgefühl mit der Hoffnung verwechsle, endlich einen wesentlichen Schritt voranzuschreiten. Was soll’s.
Zehn Minuten später stehe ich bei der Buchhandlung Krebser unter der großen Wanduhr. Sie zeigt 11.30 Uhr. Zusammen mit Hunderten von gut gelaunten Menschen jeglichen Alters warte ich am Straßenrand und spähe nach rechts Richtung Freienhofgasse. Von Weitem ist bereits die Kadettenmusik zu hören. Dann übernehmen die Tambouren. Plötzlich rennt uns eine aufgeregte Horde von Kindern und Jugendlichen entgegen. Ein paar bleiben vor dem Schuhhaus Walder stehen, wenden sich um und hasten wieder Richtung Lauitor zurück. Andere tun es ihnen gleich. Aber kaum sind sie ein paar Schritte zurückgewichen, stürmt ihnen der Hauptharst ungebremst entgegen. Es kommt zu unsanften Zusammenstößen.
Ein Naseweis verkündet dem amüsierten Publikum lauthals, was nicht zu übersehen ist: »Er kommt! Er kommt! Der Glögglifrösch!«
Und die Menge beginnt zu schreien: »Fu-le-hung, Fu-le-hung, Fu-le-hung !«
Kaum gesagt, erscheint inmitten der Kinderschreie, des Gelächters und der Spottrufe der Jugendlichen der Stadtnarr in Bestform. Mit langen, federnden Schritten rennt er in weißen Turnschuhen dem Pöbel nach und lässt links und rechts die Schweineblasen auf die Köpfe der erhitzten Gemüter niedersausen. So kennt man ihn. So soll er sein. Immer wieder schlägt er Haken, überrascht er mit Richtungswechseln und macht damit den Kadetten den Weg frei, die jetzt hinter ihm mit schmetternden Klängen ins Bälliz einbiegen.
Das Publikum ist begeistert und applaudiert. Als der strahlende Stadtpräsident in seinen neuen Wanderschuhen auftaucht, angeführt von Tell und Schwyzerma, flankiert von zwei blumengeschmückten Ehrendamen, da scheint für einen kurzen Augenblick in Thun die Welt wieder in Ordnung zu sein.
Kurz darauf, als ich bereits annehme, der Umzug sei durch, ist erneut Glockengebimmel aus Richtung Lauitor zu vernehmen. Findet das Spektakel eine Fortsetzung? Die gut gelaunten Menschen freuen sich auf eine Zugabe. Umso länger werden die Gesichter, als sich anstelle blauer Kadettenuniformen unverhofft die weißen Gewänder vermummter Gestalten zeigen.
Eine bedrohliche Horde von asozialen
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