Narrentod
Schreckensfiguren zieht durch die saubere Straße, lärmt mit Trillerpfeifen und Kuhglocken und skandiert den Satz: »Solidarität mit dem Weissen Block «. Dazu verteilen sie Flugblätter. Ich ergattere mir ein Exemplar. Was führen sie im Schilde? Kommt es zu Ausschreitungen? Wird aus dem Ausschiesset ein Dreinschlagen?
Jene Zuschauer, die bis jetzt zuvorderst an der Straße gestanden haben, versuchen so rasch als möglich durch die dahinterstehenden Zuschauerreihen zu verschwinden. Dadurch sehen sich immer neue Menschen unvermittelt an der Front. Hinter den Demonstranten fährt ein gepanzertes Polizeiauto auf. Jetzt wird es ungemütlich. Obschon wir in unserem Garnisonsstädtchen den Anblick von Panzern eigentlich gewohnt sein sollten.
Ich werfe einen Blick auf das Flugblatt. Protest? Ein Manifest? Nein. Zu meiner größten Verwunderung handelt es sich um etwas Kulturelles. Genauer gesagt, um eine Art Raptext in Bänglisch . Wer soll den verstehen? Da ist zu lesen:
Fool Man, du fule Hung,
Piss off, i mach di chrum.
Im wisse Block hett me
Ke Bock uf d’ Kadette.
Easy Man, du fule Hung,
Gang ga seckle,
Bis zum verrecke.
Ir Gass Gas gä,
Im Mocca Gras näh,
E Joint für d’ Goofe,
D’s Schyt für die Doofe.
D’ Kadette, nümm zum rette,
Usschiesset, zum schiesse.
Lazy dog, du fule Hung,
Am seckle, ufem Sprung?
Du Hung, chum füre!
Bisch nid gli düre?
Solidarität mit dem Weissen Block!
20
Mir reicht’s fürs Erste.
Die Krebser-Uhr zeigt inzwischen 12.05 Uhr. Aus dem Restaurant Steinbock gegenüber strömen verführerische Bratengerüche. Das Tagesmenü: Schmorbraten mit gedörrten Zwetschgen, Bratkartoffeln und einem Gemüsebouquet. Ich brauche etwas Rechtes in den Magen und ein paar Augenblicke Ruhe. Ich dränge Richtung Lauitorkreisel und öffne das Schloss meines Mopeds, das vor der Amtsersparniskasse steht. Nur für Kunden. Bin ich doch, hie und da. Dennoch schnauzt mich der Parkplatzwächter an. Ich lächle demonstrativ und wünsche ihm völlig zusammenhanglos »Ebenfalls guten Appetit«. Das irritiert den Alten, und ich hau ab.
Tuck, tuck, tuck.
Dann stehe ich schon vor meiner Wohnung. Scheiß Gestank hier. Verdammt! Meine Laune könnte nicht schlechter sein. Was hat dieses weiße Pack auf der Veranstaltung zu suchen gehabt? Sie haben mir den schönen Umzug versaut. Wenigstens ist der zweite Darsteller nicht abgeknallt worden. Aber war diese Befürchtung nicht ohnehin überzogen? Beim hektischen Herumgehopse des Narren hätte er auch einem treffsicheren Schützen kein brauchbares Ziel abgegeben. Zudem marschierten die besten der Region im Umzug mit, in den Formationen der Schützengesellschaften. Falls einer von ihnen als Täter infrage gekommen wäre.
Ich reiße heißhungrig den Kühlschrank auf und lasse mich überraschen. Gähnende Leere. Fluchend durchstöbere ich den Küchenschrank über dem Gasherd, finde eine Büchse Erbsen und Karotten, extrafein, und eine Büchse Thon blanc entier der Söhne des Charles Albo aus Vigo. Das tönt doch schon fast nach Schlemmermenü. Ich bin gerettet!
Mit schön viel Mayonnaise schmecken sogar die grünen Erbsen nicht allzu trocken. Dazu gönne ich mir ein Glas Syrah Mornac aus der gestern entkorkten Keulenflasche. Er schmeckt bereits etwas sauer und entspricht damit meiner momentanen Grundstimmung. Erst als aus dem Radio Polo Hofers Hit Alperose erklingt, geht es mir allmählich besser. Ich entspanne mich. Alpenrosen waren es, jawohl!
Ich erinnere mich, wie ich zusammen mit den Eltern während meiner Jugendzeit regelmäßig Wanderungen im Berner Oberland unternommen habe. Dabei pflückte ich mit der Mutter Alpenrosen um die Wette, und der Vater hielt nach Bergkristallen Ausschau. Das war eine schöne Zeit. Die prachtvollen Blumensträuße schmückten tagelang den Holztisch unseres Ferienhauses.
Als ich aber in der Pubertät in manchen Dingen eine eigene Position entwickelte, bröckelte das gegenseitige Einvernehmen. Ich kritisierte die Mutter beim
Weitere Kostenlose Bücher