Narrenturm - Roman
so tat als ob, aber er selbst betete wahrhaftig und inbrünstig. Er hatte, wie konnte es anders sein, schreckliche Angst. Scharley hingegen schien seiner selbst völlig sicher, er wirkte so gebieterisch, dass er um sich herum große Autorität verbreitete.
»Betet«, befahl er den Benediktinern, »sprecht das
Domine sancte.
«
Er stand über den Katafalk gebeugt, bekreuzigte sich und schlug auch über Bruder Deodatus das Kreuz. Er machte ein Zeichen, und Reynevan besprengte den Besessenen mit Weihwasser. Der Besessene reagierte selbstverständlich nicht.
»Domine sancte, Pater omnipotens«,
das Gebetsgemurmel der Mönche hallte mit vielfachem Echo durch das Sterngewölbe,
»aeternae Deus, propter tuam largitatem et Filii tui . . .«
Scharley machte mit einem kräftigen Räuspern seinen Hals frei.
»Offer nostras preces in conspectu Altissimi«,
sagte er laut und vernehmlich und rief dadurch ein noch stärkeres Echo hervor,
»ut cito anticipent nos misericordiae Domini, et apprehendas draconem, serpentem antiquum, qui est diabolus et satanas, ac ligatum mittas in abyssum, ut non seducat amplius gentes. Hinc tuo confisi praesidio ac tutela, sacri ministerii nostri auctoritate, ad infestationes diabolicae fraudis repellendas in nomine Iesu Christi Dei et Domini nostri fidentes et securi aggredimur.«
»Domine«,
fiel Reynevan auf sein Zeichen hin ein,
»exaudi orationem meam.«
»Et clamor meus ad te veniat.«
»Amen!«
»Princeps gloriosissime caelestis militiae, sancte Michael Archangele, defende nos in praelio et colluctatione. Satanas! Ecce Crucem Domini, fugite partes adversae! Apage! Apage! Apage!«
»Amen!«
Bruder Deodatus auf dem Katafalk gab kein Lebenszeichen von sich. Scharley wischte sich diskret mit einem Ende der Stola die Stirn ab.
»Somit haben wir die Einleitung hinter uns«, er senkte unter den fragenden Blicken der Benediktiner die Augen nicht, »und wir wissen eines: Wir haben es hier nicht mit irgend so einem dürren Teufel zu tun, denn der wäre schon ausgefahren. Also werden wir ein schwereres Geschütz auffahren.«
Der Abt blinzelte und rutschte unruhig hin und her. Der immer noch auf den Fliesen sitzende Samson kratzte sich im Schritt, schniefte, räusperte sich, furzte, zog nicht ohne Mühe den Honigtopf vom Bauch weg und schaute hinein, um festzustellen, wie viel noch darin war.
Scharley umfasste die Mönche mit einem Blick, den er für weise und eingebungsvoll hielt.
»Wie die Schrift uns lehrt«, sagte er gewichtig, »kennzeichnet Hochmut den Satan. Nichts anderes als unfassbarer Hochmut hat Luzifer bewogen, gegen den Herrn aufzubegehren, und wegen seines Hochmuts wurde er dazu verdammt, in denHöllenschlund hinabzufahren. Hochmütig ist der Teufel auch weiterhin! Die vorzüglichste Aufgabe des Exorzisten ist es somit, den Hochmut des Teufels, seinen Stolz und seine Eigenliebe zu verletzen. Kurz gesagt: Man muss ihn ordentlich demütigen, verfluchen, beleidigen und beschimpfen. Man muss ihm einen Schimpf antun, dann macht er sich kleinlaut davon.«
Die Mönche warteten, sie wussten, dass er noch nicht fertig war. Sie behielten Recht.
»Sogleich also«, fuhr Scharley fort, »werden wir den Teufel beschimpfen. Wenn einer der Fratres gegen vulgäre Ausdrücke empfindlich ist, so möge er sich unverzüglich entfernen. Tritt näher, Magister Reinmar, und sprich die Worte des Matthäus-Evangeliums. Ihr aber, Brüder, fahrt fort zu beten.«
»Und Jesus herrschte ihn an, und der böse Geist fuhr aus von ihm«, rezitierte Reynevan. »Da traten seine Jünger zu ihm, als sie allein waren, und fragten: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Er aber sagte zu ihnen: wegen eures Kleinglaubens.«
Das Gebetsgemurmel der Benediktiner mischte sich mit dem Klang der Rezitation. Scharley zog seine Stola am Hals zurecht, stand neben dem reglosen und starr daliegenden Bruder Deodatus und streckte die Hände aus.
»Du scheußlicher Teufel!«, brüllte er so laut, dass Reynevan zu stottern begann und der Abt aufsprang. »Ich befehle dir, krieche sofort aus diesem Körper, du unsaubere Kraft! Weg von diesem Christen, du dreckiges, fettes, säuisches Schwein, du allerbestialischste unter den bestialischen Bestien, du Schandfleck des Tartaros, du Scheußlichkeit des Sheol! Ich treibe dich aus, du borstiges, jüdisches Schwein, in deinen höllischen Schweinekoben, dass du in der Scheiße ertrinkst.«
»Sancta Virgo virginum«,
flüsterte der Abt,
»ora pro nobis . . .«
»Ab insidiis
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