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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Begleitung einiger Mönche. Der Abt war klein, rund und pausbäckig, dem gutmütigen, ehrlichen Gesichtsausdruck widersprachen allerdings der zu einer Grimasse verzogene Mund und die scharf beobachtenden Augen. Die rasch von Scharley zu Reynevan glitten. Und wieder zurück.
    »Nun, was sagt Ihr?«, fragte er und verbarg seine Hände unter dem Skapulier. »Was ist mit Bruder Deodatus?«
    »Die Krankheit«, erklärte Scharley und spitzte mit Expertenmiene die Lippen, »hat den
spiritus animalis
erfasst. Das ist etwas in der Art des
grand mal,
der Großen Krankheit, wie sie von Avicenna beschrieben wird, kurz genannt das Tohu Wa Bohu. Ihr müsst wissen,
reverende pater,
dass die Sache nicht zum Besten steht. Aber ich werde es trotzdem versuchen.«
    »Was werdet Ihr versuchen?«
    »Dem Besessenen den bösen Geist auszutreiben.«
    »Seid Ihr so sicher, dass er besessen ist?« Der Abt blickte ihn mit schief gelegtem Kopf an.
    »Sicher bin ich mir«, antwortete Scharleys kühl, »dass es kein Durchfall ist. Durchfall hat andere Symptome.«
    »Aber Ihr seid keine Geistlichen.« In der Stimme des Abtes schwang eine Note des Zweifels.
    »Doch, das sind wir.« Scharley zuckte nicht mit der Wimper. »Das habe ich dem Bruder Infirmarius bereits erklärt. Dass wir weltliche Gewänder tragen, dient nur der Tarnung. Um den Teufel zu täuschen. Um ihn sozusagen von links zu überraschen.«
    Der Abt sah ihn durchdringend an. Oh, nicht gut, nicht gut, dachte Reynevan, der ist nicht dumm. Das kann wirklich ins Auge gehen.
    »Wie also gedenkt Ihr vorzugehen?« Der Abt wandte seinen forschenden Blick nicht von Scharley. »Nach Avicenna? Oder nach den Empfehlungen des heiligen Isidor von Sevilla aus seinem berühmten Werk . . . Ach, jetzt habe ich den Titel vergessen . . . Aber Ihr, als ein gelehrter Exorzist, wisst ihn sicher . . .«
    »Etymologiae.« Sc
harley zuckte auch diesmal nicht mit der Wimper. »Sicher nutze ich die darin enthaltenen Lehren, aber das ist Elementarwissen. Ähnlich wie
De natura rerum
desselben Autors. Wie auch
Dialogus magnus visionum atque miraculorum
des Caesarius von Heisterbach. Und wie
De universo
von Hrabanus Maurus, dem Erzbischof von Mainz.«
    Der Blick des Abtes wurde etwas sanfter, aber man sah ihm an, dass ihn der Zweifel nicht völlig verlassen hatte.
    »Ihr seid gelehrt, da kann man nichts sagen«, meinte er spöttisch. »Das habt Ihr unter Beweis gestellt. Und nun? Bittet Ihr zunächst um Essen? Um Trinken? Und um Bezahlung im Voraus?«
    »Von Bezahlung kann gar keine Rede sein.« Scharley richtete sich so stolz auf, dass Reynevan echte Bewunderung empfand. »Von Geld kann keine Rede sein, ich bin kein Kaufmann und kein Wucherer. Ich begnüge mich mit einem Almosen, einerauch noch so kleinen Spende, und das nicht im Voraus, sondern erst, wenn das Werk vollbracht ist. Was Essen und Trinken anbelangt, ehrwürdiger Vater, so erinnere ich Euch an die Worte des Evangeliums: Böse Geister treibt man nur mit Fasten und Beten aus.«
    Das Gesicht des Abtes erhellte sich, und die feindselige Schärfe wich aus seinem Blick.
    »Wahrlich«, sagte er, »ich sehe, ich habe es mit wahrhaften und gottesfürchtigen Christen zu tun. Wahrlich, ich sage euch: Das Evangelium ist die eine Sache, aber mit Verlaub, man geht nicht mit leerem Bauch ans Werk. Ich bitte Euch zum
prandium.
Zu einem bescheidenen
Fasten- prandium,
denn heute ist
feria sexta,
Freitag. Es gibt Biberschwänze in Soße . . .«
    »Nach Euch, ehrenwerter Vater Abt«, Scharley schluckte so laut, dass man es hören konnte, »nach Euch.«
     
    Reynevan wischte sich den Mund ab und unterdrückte einen Rülpser. Der gedünstete Biberschwanz in einer dicken Meerrettichsoße hatte sich zusammen mit der Grütze als echte Delikatesse erwiesen. Reynevan hatte bis dahin lediglich von dieser Köstlichkeit gehört, er wusste, dass man sie in einigen Klöstern zur Fastenzeit zu essen pflegte, denn aus unerfindlichen, aus längst vergangenen Zeiten herrührenden Überlieferungen wurde Biberschwanz als eine Art Fisch angesehen. Das war aber ein äußerst rarer Leckerbissen, nicht jedes Kloster verfügte in der näheren Umgebung über Biberschwänze, und nicht jedes genoss das Privileg des Fanges. Das große Vergnügen an diesem Gaumenkitzel wurde aber gemindert durch den beunruhigenden Gedanken an die Aufgabe, die ihrer harrte. Immerhin, dachte er, während er die Schüssel sorgfältig mit Brot auswischte, das, was ich gegessen habe, kann mir niemand mehr

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