Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
mendacii!
Bei den sieben goldenen Leuchtern und dem einen, der zwischen jenen sieben steht! Bei der Stimme, die die Stimme über den Wassern ist und die spricht: Ich bin der, der gestorben ist und der, der wiederauferstanden ist, der, der lebt und ewig leben wird, der den Schlüssel zu Tod und Hölle bewahrt, ich sage dir, hebe dich hinweg, unreiner Geist, der du die Strafe der ewigen Verdammnis kennst.«
    Die Wirkung ließ nach wie vor auf sich warten. Auf den Gesichtern der zusehenden Benediktiner zeichneten sich unterschiedliche, ja äußerst unterschiedliche Gefühle ab. Scharley holte tief Luft.
    »Möge dich Agyos lähmen, wie er Ägypten gelähmt hat! Mögen sie dich steinigen, wie Israel Achan gesteinigt hat! Mit Füßen sollen sie dich treten und an einer Mistforke aufspießen, wie sie die fünf amoritischen Könige aufgespießt haben! Möge der Herr dir einen Nagel an die Stirn halten und mit einem Hammer daraufschlagen, wie es die Jaël mit Sisera tat! Möge dir, wie es dem verfluchten Dagon geschah, der Kopf und beide Hände abgehauen werden! Und mögen sie dir den Schwanz abschneiden, dicht an deinem teuflischen Arsch!«
    Oh, dachte Reynevan, das nimmt ein böses Ende. Das nimmt ein böses Ende.
    »Höllischer Geist!« Scharley breitete mit einer gewaltigen Gebärde die Hände über dem nach wie vor kein Lebenszeichen von sich gebenden Bruder Deodatus aus. »Ich beschwöre dich bei Acharon, Ehey, Homus, Athanatos, Ischiros, Aecodes und Almanach! Ich beschwöre dich bei Arathon, Bethor, Phalego und Ogo, bei Pophiel und Phul! Ich beschwöre dich bei denmächtigen Namen von Schmiel und Schmul! Ich beschwöre dich beim schrecklichsten aller Namen: dem Namen des mächtigen und grässlichen Semaphor!«
    Semaphor nützte auch nicht viel mehr als Phul und Schmul. Das blieb keinem verborgen. Und Scharley sah es auch.
    »Jobsa, hopsa, afia, alma!«, schrie er wie wild. »Melch, Berot, Not Berib
et vos omnes!
Hemen etan! Hemen etan! Hau! Hau! Hau!«
    Er ist verrückt geworden, dachte Reynevan. Gleich werden sie uns verprügeln. Gleich merken sie, dass das alles Parodie und reinster Unsinn ist, denn so dumm können sie doch nicht sein. Gleich endet das alles mit fürchterlichen Schlägen.
    Scharley, völlig verschwitzt und äußerst heiser, zog seinen Blick auf sich und murmelte eine deutlich erkennbare Bitte um Unterstützung, der Bitte verlieh er mit einer ziemlich heftigen, aber verstohlenen Geste Nachdruck. Reynevan hob die Augen zum Gewölbe. Alles, dachte er, während er versuchte, sich die alten Bücher und die Gespräche mit befreundeten Magiern ins Gedächtnis zu rufen, alles ist besser als »hau-hau-hau«.
    »Hax, pax, max!«, heulte er und wedelte mit den Armen. »Abeor super aberer! Aie Saraye! Aie Saraye! Albedo, rubedo, nigredo!«
    Der schwer atmende Scharley sandte ihm mit einem Blick seinen Dank zu und bedeutete ihm mit einer Geste, fortzufahren. Reynevan pumpte mit einem tiefen Atemzug Luft in seine Lungen.
    »Tumor, rubor, calor, dolor!
Per ipsum, et cum ipso, et in ipso!
Jobs, hopsa,
et vos omnes! Et cum spiritu tuo!
Melach, Malach, Molach!«
    Gleich werden sie uns verdreschen, überlegte er fieberhaft, vielleicht auch treten. Gleich, in einem kleinen, ganz winzigen Moment. Da hilft alles nichts. Ich muss aufs Ganze gehen. Ins Arabische. Averroes steh mir bei! Rette mich, Avicenna!
    »Kullu-al-shaitanu-al radjim!«, schrie er. »Fa-ana-sahum Tarish! Qasura al-Zoba! Al-Ahmar, Baraqan al-Abayad! Al-shaitan!Khar-al-Sus! Al ouar! Mochefi al relil! El feurdsh! El feurdsh!«
    Das letzte Wort, wie er sich dunkel erinnerte, bedeutete im Arabischen »Fotze« und hatte wenig mit Exorzismus zu tun. Er wusste, welch große Dummheit er beging. Umso mehr wunderte er sich darüber, was sie bewirkte.
    Er hatte den Eindruck, die Welt sei für einen Moment stehen geblieben. Und dann begann in dieser völligen Stille, in dem vor dem Hintergrund der grauen Mauern erstarrten
tableau
der Benediktiner in ihren schwarzen Habiten, plötzlich etwas zu schwingen, sich etwas zu ereignen, störte etwas die leblose Ruhe durch eine Bewegung und einen Laut.
    Der glotzäugige Riese an der Mauer schleuderte, von Abscheu und Widerwillen erfasst, den schmutzigen, klebrigen Honigtopf mit einer heftigen Bewegung von sich. Der Topf schlug auf den Fliesen auf, ging aber nicht entzwei, sondern kollerte weiter und erfüllte die Stille mit einem dumpfen, aber lauten Rollen.
    Der Riese hielt sich die klebrigen Finger vor die Augen. Er

Weitere Kostenlose Bücher