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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nehmen.
    Scharley, der die ziemlich kleine Fastenportion im Handumdrehen verzehrt hatte, führte das große Wort und setzte dazu eine außerordentlich gescheite Miene auf.
    »Über Besessenheit durch den Teufel«, dozierte er, »haben sich die verschiedensten Autoritäten geäußert. Die größten, die ehrenwerten Brüder kennen sie, woran ich nicht im mindestens zweifle, gewiss, sind die heiligen Väter und Kirchengelehrten: Basilius der Große, Isidor von Sevilla, Gregor von Nazianz, Kyrillos von Jerusalem und Ephraem Syrus. Sicher kennt ihr auch die Werke des Tertullian, des Origenes und des Lactancius. Nicht wahr?«
    Einige der im Refektorium anwesenden Benediktiner bestätigten dies mit lebhaftem Nicken, andere senkten die Köpfe.
    »Aber dies sind alles Werke allgemeiner Natur«, erläuterte Scharley, »deshalb kann ein ordentlicher Exorzist sein Wissen nicht allein darauf beschränken.«
    Die Mönche nickten wiederum und sprachen eifrig der restlichen Grütze und der Soße in ihren Schüsseln zu. Scharley streckte sich und hüstelte.
    »Ich kenne«, verkündete er nicht ohne Stolz, »den
Dialogus de energia et operatione daemonum
von Michael Psellos. Ich kenne Auszüge aus
Exorcisandis obsessis a daemonio,
einem Werk von Papst Leo III., wirklich, es ist gut und von Nutzen, dass die Nachfolger Petri die Feder in die Hand nehmen. Ich habe mehrmals den
Liber Picatrix
gelesen, der von Alfons dem Weisen, dem gelehrten König von Kastilien und León, aus dem Arabischen übersetzt wurde. Ich kenne die
Orationes contra Daemoniacum
und den
Flagellum daemonum.
Ich kenne auch
Das Buch der Geheimnisse des Henoch,
aber das ist nicht der Rede wert, das kennen alle. Mein Asisstent, der tapfere Magister Reinmar, hat sich sogar in die Bücher der Sarazenen vertieft, obwohl er sich der Gefahr wohl bewusst war, die eine Berührung mit der heidnischen Schwarzkunst bedeuten kann.«
    Reynevan errötete. Der Abt lächelte freundlich, er nahm dies als Beweis für Bescheidenheit.
    »Wahrlich!«, verkündete er, »wir sehen wohl, dass Ihr gelehrte Männer und erfahrene Exorzisten seid. Ich würde zu gern wissen, mit wie viel Teufeln Ihr schon zu tun hattet?«
    »Mit Höchstwerten kann ich nicht aufwarten, um die Wahrheit zu sagen.« Scharley senkte den Blick, verlegen wie eine Novizin bei den Klarissen. »Die größte Anzahl Teufel, die mir gelungen ist, auf einmal auszutreiben, war neun.«
    »Tatsächlich«, meinte der Abt, sichtlich besorgt, »das ist nicht viel. Ich habe von Dominikanern gehört . . .«
    »Das habe ich auch gehört«, unterbrach ihn Scharley, »aber nicht gesehen. Darüber hinaus habe ich von Teufeln der ersten Ordnung gesprochen, und es ist allgemein bekannt, dass jeder einzelne Teufel der ersten Ordnung mindestens dreißig kleinere Teufel zu seinen Diensten hat. Die aber zählt ein Exorzist, der auf sich hält, nicht mit, denn wenn man den Anführer vertreibt, verschwinden auch die Knechte. Aber wenn man so zählt wie die Brüder Prädikanten, dann mag es schon sein, dass ich mich mit ihnen in eine Reihe stellen könnte.«
    »Das ist wohl wahr«, gab der Abt zu, wirkte dabei allerdings ziemlich verunsichert.
    »Leider kann ich Euch auch keine schriftliche Garantie geben«, stellte Scharley kühl und scheinbar widerwillig fest. »Berücksichtigt das bitte, damit später keine Klagen kommen.«
    »Hä?«
    »Der heilige Martin von Tours«, salbaderte Scharley auch diesmal ohne mit der Wimper zu zucken, »nahm jedem exorzierten Teufel in einem mit dessen eigenem teuflischen Namen unterzeichneten Dokument die Verpflichtung ab, dass er es nie mehr wagen würde, von der jeweiligen Person Besitz zu ergreifen. Vielen berühmten Heiligen und Bischöfen ist nämliches später auch gelungen, aber ich bin nur ein einfacher Exorzist und nicht in der Lage, ein solches Dokument vorzulegen.«
    »Vielleicht ist das auch besser so!« Der Abt bekreuzigt sich, die übrigen Brüder ebenfalls. »Heilige Mutter Gottes, Himmelskönigin! Ein Pergament, unterzeichnet von der Hand des Bösen? Wie abscheulich! Was für eine Sünde! Das wollen wir nicht, das wollen wir nicht . . .«
    »Es ist gut, dass Ihr das nicht wollt«, unterbrach ihn Scharley. »Aber zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ist der Patient schon in der Kapelle?«
    »Zweifellos.«
    »Gleichwohl«, ließ sich plötzlich einer der jüngeren Benediktiner vernehmen, der Scharley schon seit geraumer Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte, »wie erklärt Ihr Euch, Meister, dass

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