Narrenturm - Roman
Heuzutage verteidigen sie sich, hauen wie die Teufel, wie ein venezianischer Condottiere. Es ist schlimmer geworden für uns. Wie soll man denn da noch seinen Geschäften nachgehen?«
»Ja, wie denn?«, grübelte Weyrach. »Unser
exercitium
wird immer schwieriger, die Zeiten für Raubritter werden immer schwerer. He!«
»Heee!«, fielen die Raubritter in einem traurigen Chor ein. »Heee!«
»Auf dem Misthaufen wühlt ein Schwein«, bemerkte Kuno Wittram und zeigte darauf. »Vielleicht schlachten wir’s und nehmen’s mit?«
»Nein«, entschied Weyrach nach kurzem Nachdenken. »Schade um die Zeit.«
Er stand auf.
»Herr Scharley«, sagte er, »es schickt sich nicht, euch drei hier zu verlassen. Die Seidlitz’ sind nachtragend, sie haben gewiss schon Verfolger ausgeschickt und überwachen die Wege. Darum bitte ich euch, reitet mit uns. Nach Schönau,unserem Stammsitz. Dort sind unsere Knappen, und auch Kameraden gibt es genug. Dort wird euch keiner bedrohen oder schmähen.«
»Das sollten sie nur einmal probieren!« Rymbaba zwirbelte seinen hellen Bart. »Reitet mit uns, reitet mit uns, Herr Scharley. Denn ich sage Euch, Ihr habt wirklich sehr geholfen.«
»So wie mir der Junker Reinmar!« Kuno Wittram schlug Reinmar auf den Rücken. »Ich schwör’s bei der Kelle des heiligen Rupert von Salzburg! Reitet mit uns nach Schönau. Herr Scharley? Einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Also dann«, Notker von Weyrach streckte sich, »lasst uns aufbrechen,
comitiva.
«
Während sich der Zug formierte, blieb Scharley zurück und rief Reynevan und Samson Honig unauffällig zu sich.
»Jenes Schönau«, sagte er leise und klopfte seinem Braunen den Hals, »ist in der Nähe von Silberberg und Peterswaldau, am sogenannten Böhmischen Steig, einem Weg, der über den Silberberger Pass nach Frankenstein und zur Straße nach Breslau führt. Es liegt also auf unserem Weg; wenn wir mit ihnen reiten, kommt uns das sehr gelegen. Und es ist viel sicherer. Wir halten uns an sie. Wir ignorieren das Geschäft, dem sie nachgehen. In der Not kann man nicht wählerisch sein. Ich rate aber, große Vorsicht walten zu lassen und nicht zu viel zu reden. Samson?«
»Ich schweige und spiele den Dummen.
Pro bono communi.
«
»Großartig. Reynevan, komm her. Ich habe dir etwas zu sagen.«
Reynevan war schon im Sattel. Er ritt heran, ahnte aber schon, was ihm blühte und was er zu hören bekommen sollte. Er hatte sich nicht geirrt.
»Hör mir gut zu, du unverbesserlicher Dummkopf. Du bist für mich allein schon durch deine bloße Existenz eine tödliche Gefahr. Ich erlaube nicht, dass du diese Gefahr durch deinidiotisches Verhalten und schwachsinnige Heldentaten noch vergrößerst. Ich werde die Tatsache, dass du edel sein wolltest und einfach dumm warst, als du Räubern zu Hilfe geeilt bist und sie im Kampf gegen die Ordnungskräfte unterstützt hast, nicht kommentieren. Ich werde dich nicht verspotten, geb’s Gott, dass du aus dieser Sache etwas gelernt hast. Aber ich schwöre dir: Wenn du noch einmal etwas Ähnliches tust, überlasse ich dich deinem Schicksal, und zwar ein für allemal. Merk es dir gut, du Esel, schreib es dir hinter die Ohren, du Tropf: Dir wird niemand in der Not zu Hilfe eilen, nur ein Idiot eilt anderen zu Hilfe. Wenn jemand um Hilfe ruft, dreht man ihm den Rücken zu und macht sich aus dem Staube. Ich schwöre es dir: Wenn du in Zukunft auch nur den Kopf nach einem Armen, einer bedrängten Jungfrau, einem bedrohten Kind oder einem geprügelten Hund wendest, trennen wir uns. Dann kannst du den Parzival in dir auf eigene Faust und auf eigene Rechnung ausleben.«
»Scharley . . .«
»Schweig! Und sei gewarnt. Ich scherze nicht.«
Sie ritten über Waldwiesen, durch Gras und Kräuterbüsche, die ihnen bis zu den Steigbügeln reichten. Im Westen brannte der von zerrissenen Federwolken bedeckte Himmel in Streifen aus glühendem Purpur. Die Bergwände und die schwarzen Wälder der Schlesischen Schneise begannen sich in Dunkelheit zu hüllen.
Notker von Weyrach und Woldan von Nossen, die die Vorhut bildeten, sangen ernst und gesammelt eine Hymne und lenkten von Zeit zu Zeit ihre Augen in den geöffneten Visieren ihrer Hundsgugeln zum Himmel. Ihr Gesang, obschon nicht laut, klang vornehm und ernst:
Pange lingua gloriosi
Corporis mysterium,
Sanguinisque pretiosi,
Quem in mundi pretium
Fructus ventris generosi
Rex effudit gentium.
Etwas weiter hinten, so weit, dass sie mit ihrem eigenen Gesang nicht
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