Narrenturm - Roman
der einen Verfolger in die Irre führen sollte, ihm vorgaukelnd, die Schar befinde sich noch weit vor ihm. Czirne nahm die Laterne herunter, hielt sie höher und leuchtete Reynevan noch einmal an.
»Ein ehrliches Gesicht«, urteilte er. »Ein offenes, ehrliches Antlitz. Es sieht danach aus, der Schein trügt nicht, dass der hier die Wahrheit spricht. Ein Feind der Sterz’, ja?«
»Ja, Herr Czirne.«
»Reinmar von Bielau, ja?«
»Ja.«
»Alles klar. Los, fasst ihn, entwaffnen, binden, den Strick um den Hals! Schnell!«
»Herr Czirne . . .«, stieß Reynevan keuchend hervor, den starke Arme ergriffen hatten. »Was denn . . . Was . . .«
Es gibt ein bischöfliches
significavit
auf deine Person, junger Mann, erklärte Hayn von Czirne beiläufig. Und ein Kopfgeld, wenn man dich lebend ergreift. Siehst du, dich sucht die Inquisition. Wegen Zauber oder Häresie, das ist mir ganz egal. Aber du reitest gefesselt nach Schweidnitz, zu den Dominikanern.
»Lasst mich frei . . .« Reynevan stöhnte, denn die Fesseln schnitten ihm schmerzhaft in die Handgelenke. »Bitte, Herr Czirne . . . Ihr seid schließlich ein Ritter . . . Und ich muss . . . Ich bin in Eile . . . Zu der Frau, die ich liebe!«
»Wie wir alle.«
»Ihr hasst doch meine Feinde! Die Sterz’ und Aulock!«
»Das stimmt«, gab der Raubritter unumwunden zu. »Ich hasse diese Hundesöhne. Aber, junger Freund, ich bin kein dahergelaufener Wilder. Ich bin Europäer. Ich gestatte mir nicht, mich in Geschäftsangelegenheiten von Sympathie oder Antipathie leiten zu lassen.«
»Aber . . . Herr Czirne . . .«
»Auf die Pferde, meine Herren.«
»Herr Czirne . . . Ich . . .«
»Herr Nostitz!«, sagte Hayn streng. »Das ist angeblich Euer Verwandter. Also seht zu, dass er endlich schweigt.«
Reynevan erhielt einen Faustschlag aufs Ohr, dass ihm vor den Augen Funken stoben und sein Kopf fast auf die Mähne seines Pferdes sank.
Er sagte nichts mehr.
Im Osten erhellte sich in Vorahnung der Morgendämmerung der Himmel. Es war noch kälter geworden. Reynevan zitterte und bebte am ganzen Leib, vor Kälte und Angst zugleich.Nostitz musste ihn mehrmals durch Ziehen am Strick zurechtweisen.
»Was machen wir mit ihm?«, fragte Vitelozzo Gaetani plötzlich. »Werden wir ihn die ganze Zeit so über die Berge hinter uns herziehen? Oder schwächen wir unsere Schar und geben ihm eine Eskorte bis Schweidnitz mit? He?«
»Ich weiß es noch nicht.« In Hayn von Czirnes Stimme schwang Ungeduld. »Ich denke nach.«
»Ist das Kopfgeld denn so hoch?« Der Italiener gab nicht auf. »Ist es denn die Mühe wert? Geben sie für einen Toten so viel weniger?«
»Mir geht es nicht um das Geld«, knurrte Czirne, sondern um gute Beziehungen zum Heiligen Officium. »Außerdem ist jetzt Schluss mit diesem Gerede! Ich denke nach.«
Sie erreichten ebenes Gelände. Reynevan erkannte dies am veränderten Rhythmus des Ganges und am Klang der Pferdehufe. Er vermutete, dass dies der Weg war, der nach Frankenstein führte, der größten Stadt in der Umgebung. Er hatte jedoch die Orientierung verloren und konnte nicht herausfinden, ob sie sich auf die Stadt zu oder von ihr weg bewegten. Die Ankündigung, ihn nach Schweidnitz zu bringen, ließ zwar Letzteres vermuten, aber nach den Himmelsrichtungen schließend, die er durch die Position der Sterne ermittelt hatte, schien es ihm, als ritten sie nach Frankenstein, vielleicht zu einem Nachtlager. Einen Moment lang hörte er auf, sich über sich selbst zu ärgern und seine eigene Dummheit zu verfluchen; er begann fieberhaft zu überlegen und Pläne für seine Flucht zu schmieden.
»Hoooo!«, schrie jemand von vorn. »Hoooo!«
Eine Laterne leuchtete auf und hob die eckigen Konturen von Wagen und die Silhouetten von Reitern aus dem Dunkel hervor.
»Er ist da«, sagte Czirne leise. »Pünktlich! Und dort, wo es abgemacht war. Das gefällt mir.« Er senkte seine Stimme. »Aber manchmal trügt der Schein. Die Waffen bereithalten. HerrGaetani, bleibt hinten und seid wachsam. Herr Nostitz, achtet auf Euren Verwandten. Der Rest mir nach. Hoooo! Lebt wohl!«
Die entgegenkommende Laterne tanzte im Rhythmus der Pferdeschritte. Drei Reiter näherten sich. Einer trug einen schweren, weiten Pelzrock, der auch die Kruppe des Pferdes bedeckte, seine Begleiter waren zwei Armbrustschützen, die Czirnes Schützen ähnelten – mit Helmen, eisernen Halsbrünnen und Brigantinen.
»Herr Hayn von Czirne?«
»Herr Hanusz Throst?«
»Ich mag Leute, die Wort
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