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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Furchtsamkeit selbst auszulachen. Wie zum Teufel konnte man sich bloß vor Büschen fürchten?
    Zwei Büsche versperrten ihm plötzlich den Weg, ein dritter riss ihm die Zügel aus der Hand. Ein vierter drückte ihm etwas gegen die Brust, das nur die Spitze eines Wurfspießes sein konnte.
    Von allen Seiten erklang Hufgetrappel, der Geruch nach Pferden und menschlichem Schweiß wurde stärker. Ein Feuerzeug schnappte, Funken sprühten, Laternen leuchteten auf. Reynevan blinzelte und beugte sich im Sattel nach hinten, denn man hielt ihm eine direkt vors Gesicht.
    »Für einen Spion ist er zu hübsch«, meinte Hayn von Czirne. »Für einen gedungenen Mörder zu jung. Aber der Schein trügt manchmal.«
    »Ich bin . . .«
    Er konnte nicht weitersprechen und krümmte sich zusammen, etwas Hartes hatte ihm einen derben Schlag auf den Rücken versetzt.
    »Vorläufig entscheide ich, was du bist«, stellte Czirne klar. »Und was du nicht bist. Zum Beispiel bist du kein Toter, der, von einem Pfeil getroffen, im Graben liegt. Noch nicht jedenfalls,dank meiner Entscheidung. Und jetzt schweig, ich muss nachdenken.«
    »Was gibt’s da groß nachzudenken?« Vitelozzo Gaetani, der Italiener, sprach ein fließendes Deutsch, aber sein melodiöser Akzent verriet ihn. »Das Messer an die Kehle und damit basta. Lasst uns weiterreiten, es ist kalt, und wir sind hungrig.«
    Von hinten war Hufschlag und Pferdeschnauben zu hören.
    »Er ist allein«, rief Fryczko von Nostitz, den einmal mehr seine junge, angenehme Stimme verriet. »Hinter ihm ist niemand.«
    »Der Schein trügt manchmal«, wiederholte Czirne.
    Aus den Nüstern seines Pferdes quoll weißer Dampf. Er ritt näher heran, ganz nah, so nah, dass sich beider Steigbügel berührten. Sie waren jetzt nur noch eine Armlänge voneinander entfernt. Reynevan begriff mit erschreckender Klarheit, weshalb. Czirne kontrollierte und provozierte.
    »Ich sag’s doch«, beharrte der Italiener aus dem Dunkel, »das Messer an den Hals!«
    »Messer, Messer«, brauste Czirne auf, »bei euch ist alles so einfach. Und mir fragt mein Beichtvater später wieder Löcher in den Bauch, bohrt und ermahnt, sagt und wettert, es sei eine große Sünde, ohne Grund zu töten, man müsse, verkündet er, einen wichtigen Grund haben, um zu töten. Bei jeder Beichte schwätzt er so daher, einen Grund, einen Grund, man darf nicht grundlos, das wird noch so enden, dass ich dem Pfaffen den Schädel mit dem Streitkolben spalten werde, denn, wenn man die Geduld verliert, das ist doch auch ein Grund, oder? Aber bis dahin soll’s so sein, wie er’s mir in der Beichte aufgetragen hat. Na, Brüderchen, jetzt rede: Wer bist du?«, fragte er und wandte sich Reynevan zu. »Wir werden sehen, ob es einen Grund gibt, oder ob wir uns erst noch einen ausdenken müssen.«
    »Ich heiße Reinmar von Bielau«, begann Reynevan. Und weil ihn niemand unterbrach, fuhr er fort. »Mein Bruder, Peter von Bielau, ist ermordet worden. Den Mord haben die BrüderSterz in Auftrag gegeben, und Kunz Aulock und seine Bande haben ihn ausgeführt. Ich habe also keinerlei Veranlassung, sie zu mögen. Ich habe in Schönau gehört, dass zwischen euch und ihnen auch keine Feundschaft besteht. Deswegen bin ich euch gefolgt, um euch zu sagen, dass die Sterz’ im Weiler waren, und, als sie Nachricht von eurem Kommen erhielten, von dort geflohen sind. Sie sind nach Süden geritten, durch die Furt im Fluss. Ich sage und tue das, weil ich die Sterz’ hasse. Allein kann ich mich an ihnen nicht rächen. Deswegen setze ich meine Hoffnungen auf euch. Mehr will ich nicht. Wenn ich mich getäuscht haben sollte . . . Dann verzeiht mir und lasst mich meines Weges ziehen.«
    Er holte tief Atem, ermüdet von seiner rasch vorgebrachten Rede. Die Pferde der Raubritter schnaubten, das Zaumzeug klirrte, die Laternen hoben aus dem Dunkel gespenstische, auf- und niederhüpfende Schatten hervor.
    »Von Bielau.« Fryczko Nostitz lachte. »Beim Teufel, es scheint, dass dies ein entfernter Verwandter von mir ist.«
    Vitelozzo Gaetani fluchte auf Italienisch.
    »Weiter«, befahl Hayn von Czirne knapp. »Du, Herr von Bielau, bleibst bei mir. Nahe bei mir.«
    Er hat mich nicht mal durchsuchen lassen, dachte Reynevan, als er weiterritt. Er hat nicht nachgesehen, ob ich irgendwo eine Waffe versteckt habe. Aber er hat mir befohlen, bei ihm zu bleiben. Das ist die nächste Prüfung. Und eine Provokation.
    An einer Weide am Wege schwang eine Laterne hin und her, ein raffinierter Trick,

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