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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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keineswegs.
    »Ein Funke ist winzig«, sagte er mit Elan, »aber wenn Dürre herrscht, kann er Städte, Mauern und große Wälder vernichten. Milchsäure ist auch klein und unbedeutend, aber sie lässt die Milch in allen irdenen Töpfen sauer werden. Eine tote Fliege, spricht der Prediger Salomo, verdirbt ein Gefäß mit duftendem Öl. Auch eine schlechte Lehre beginnt beim Einzelnen, sie hat am Anfang kaum zwei oder drei Zuhörer, aber allmählich breitet sich das Krebsgeschwür im Körper aus, denn wie heißt es so schön: Ein räudiges Schaf steckt die ganze Herde an. So muss der Funke, sobald er aufglimmt, erstickt, der Tropfen mit der Milchsäure vom Milchkrug entfernt, das Böse aus dem Körper herausgeschnitten und das räudige Schaf aus der Herde vertrieben werden, damit das Haus, der Körper, und der Milchkrug und auch die Herde nicht verderben . . .«
    »Das Böse aus dem Körper herausschneiden«, wiederholte Bischof Konrad und biss ein Stück Ochsenbraten ab, dass das Fett und der blutige Bratensaft heruntertropften.
    »Vortrefflich! Das habt Ihr gut gesagt, junger Herr Nikolaus. Die Medizin bringt die Rettung! Ein Eisen, ein scharfesEisen ist gegen das hussitische Krebsgeschwür das beste Mittel. Herausschneiden! Abschlachten, die Häretiker abschlachten, und zwar gnadenlos!«
    Die um den Tisch Versammelten drückten ebenfalls ihre Zustimmung aus, teils mit vollen Mündern murmelnd, teils mit abgenagten Knochen gestikulierend. Der Ochsenrumpf verwandelte sich langsam in ein Ochsenskelett, und Nikolaus von Cusa widerlegte nacheinander alle hussitischen Dogmen, entlarvte alle Irrtümer der Lehre Wyclifs: die Negierung der Transsubstantiation, die Negierung der Existenz des Fegefeuers, das Verwerfen des Heiligenkultes und seiner Abbilder, das Verwerfen der Ohrenbeichte. Schließlich kam er zur Kommunion
sub utraque specie
und lehnte auch diese auf das Schärfste ab.
    »In nur einer Gestalt«, rief er, »und zwar in der Gestalt des Brotes soll den Gläubigen die Kommunion gereicht werden. Denn Matthäus spricht: Unser täglich Brot,
panem nostrum supersubstantialem
, gib uns heute. Und Lukas spricht: Er nahm das Brot, segnete es, brach es und gab es ihnen. Wo ist da vom Wein die Rede? Wahrlich, es gibt einen, und nur einen von der Kirche beschlossenen und bestätigten Brauch, dass der einfache Mensch die Kommunion nur in einer Gestalt empfängt. Und damit soll es jeder, der sich zum Glauben bekennt, bewenden lassen!«
    »Amen«, setzte Ludwig von Brieg hinzu und leckte sich die Finger.
    »Von mir aus«, brüllte Bischof Konrad wie ein Löwe und warf einen Knochen in die Ecke, »können die Hussiten die Kommunion als Klistier, in den Arsch, empfangen! Aber diese Hundesöhne wollen mich bestehlen! Die Säkularisierung der Kirchengüter propagieren sie, die angeblich in den Evangelien verlangte Armut des Klerus! Das heißt, uns wollen sie es wegnehmen und unter sich aufteilen! Bei den Leiden Christi, das darf nicht sein! Nur über meine Leiche! Oder besser noch, nur über dieses ketzerische Aas! Verrecken sollen sie!«
    »Vorläufig leben sie noch«, bemerkte Puta von Czastoloviceverbittert, der Starost von Glatz, den Reynevan und Scharley vor kaum fünf Tagen auf dem Turnier in Münsterberg gesehen hatten. »Vorläufig leben sie noch, und es geht ihnen gut, trotz allem, was man ihnen nach Žižkas Tod vorausgesagt hat. Dass sie sich gegenseitig totschlagen würden, Prag, Tábor und die Waisen. Nichts davon ist eingetroffen, meine Herren. Wenn jemand darauf gebaut hat, muss er jetzt schwer enttäuscht sein.«
    »Die Gefahr wird keineswegs geringer, im Gegenteil, sie wächst«, donnerte Albrecht von Kolditz mit tiefster Bassstimme, Starost und Hetman der Herzogtümer Breslau und Schweidnitz. »Meine Spione tragen mir ständig Neuigkeiten über den immer enger werdenden Zusammenschluss der Prager mit Korybut und den Erben Žižkas zu: mit Jan Hvězda von Vicemilice, Bohuslav von Švamberk und Roháč z Dubé. Von gemeinsamen Kriegszügen ist da die Rede. Herr Puta hat Recht. Diejenigen, die nach Žižkas Tod auf ein Wunder gehofft haben, haben sich geirrt.«
    »Und wir dürfen auch weiterhin nicht auf ein Wunder hoffen«, warf Kaspar Schlick lächelnd ein. »Nicht darauf, dass der Presbyter Johannes die Angelegenheit mit dem böhmischen Schisma für uns regelt, der aus Indien mit Tausenden von Pferden und Elefanten herangezogen kommt. Wir, wir selbst müssen diese Sache regeln. Deshalb hat mich König Sigismund

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