Narrenturm - Roman
wie seines gesunden Piastenblutes, denn anderen Würdenträgern in Konrads Alter, die weniger soffen und nicht so viel herumhurten, fielen die Bäuche schon bis auf die Knie herab, Tränensäcke und blaurote Nasen zierten sie, falls sie überhaupt noch Nasen hatten. Der an die vierzig Lenze zählende Ludwig von Brieg hingegen erinnerte an den auf Miniaturen dargestellten König Artus – langes, wallendes Haar umgab das vergeistigte und zugleich sehr männliche Gesicht, das an das eines Poeten erinnerte, wie eine Aureole.
»Wir bitten zu Tisch, edle Herren«, verkündete der Bischof feierlich und überraschte aufs Neue, diesmal durch seine melodische Jünglingsstimme. »Obgleich dies nur eine Scheune und kein Palast ist, bewirten wir Euch doch mit dem, was Küche und Keller hergeben, und die einfachen, ländlichen Speisen veredeln wir mit einem Wein aus Ungarn, wie er selbst bei König Sigismund in Buda nicht immer auf den Tisch kommt. Was der königliche Kanzler, der edle Herr Schlick, bestätigen kann. Selbstverständlich nur, wenn er den Trunk für wert befindet.«
Ein junger, aber sehr ernst und wohlhabend erscheinender Mann verbeugte sich. Er trug ein Wappen auf seinem Lendner – einen silbernen Keil in einem roten und drei rote Ringe in einem silbernen Feld.
»Kaspar Schlick«, flüsterte Scharley, »der Privatsekretär, Vertraute und Ratgeber des Luxemburgers. Eine beachtliche Karriere für so einen Grünschnabel . . .«
Reynevan zog einen Strohhalm aus seiner Nase und unterdrückte mit geradezu übermenschlicher Anstrengung ein Niesen. Samson Honig zischte warnend.
»Besonders herzlich begrüße ich Seine Eminenz GiordanoOrsini, Mitglied des Kardinalkollegiums und Legat Seiner Heiligkeit Papst Martins. Ich begrüße auch den Vertreter des Ordensstaates, den edlen Gottfried Rodenberg, den Vogt von Linde. Und auch unseren verehrungswürdigen Gast aus Polen und die Gäste aus Mähren und Böhmen. Seid willkommen und nehmt Platz.«
»Sogar bis hierher hat es diesen verdammten Deutschordensritter verschlagen«, knurrte Scharley und versuchte mit einem Messer den Spalt etwas zu vergrößern. »Der Vogt von Linde. Wo liegt das? Sicher in Preußen. Und wer sind die anderen? Dort ist Herr Puta von Czastolovice . . . Der Breitschultrige mit dem schwarzen Löwen auf goldenem Grund ist Albrecht von Kolditz, der Starost von Schweidnitz . . . Der mit dem Odrzywąs-Wappen muss einer der Herren von Krawař sein.«
»Sei still!«, zischte Samson. »Und hör auf zu bohren . . . Die entdecken uns noch, wenn Holzspäne in ihren Bechern landen . . .«
Unten wurden im selben Moment die Becher erhoben, und man trank sich zu, die Dienerschaft wieselte mit den Krügen herum. Kanzler Schlick lobte den Wein, aber es war schwer zu sagen, ob das nur aus diplomatischer Höflichkeit geschah oder nicht. Die Leute am Tisch schienen sich zu kennen. Mit einigen Ausnahmen.
»Wer ist denn Euer junger Gefährte,
monsignore
Orsini?«, erkundigte sich Bischof Konrad.
»Das ist mein Sekretär«, antwortete der päpstliche Legat, »ein kleiner, grauhaariger, freundlich lächelnder Alter. Er heißt Nikolaus von Cusa. Ich prophezeie ihm eine große Karriere im Dienste unserer Kirche.
Vero,
er hat sich bei meiner Mission verdient gemacht, versteht er sich doch wie kein anderer darauf, häretische Thesen, insbesondere lollardische und hussitische, zu widerlegen. Seine Exzellenz der Bischof von Krakau kann das bestätigen.«
»Der Bischof von Krakau . . .«, fauchte Scharley, »die Pest über ihn . . . Das ist . . .«
»Zbigniew Oleśnicki«, bestätigte Samson Honig flüsternd. »Er steckt mit Konrad in Schlesien unter einer Decke. Verdammt noch mal, wir sitzen ganz schön in der Patsche. Seid still wie Mäuschen. Wenn die uns entdecken, ist es aus mit uns.«
»Wenn das so ist«, fuhr Bischof Konrad unten fort, »so möge der edle Nikolaus von Cusa beginnen! Denn eben dieses Ziel schwebt uns bei unserer Zusammenkunft vor: Der hussitischen Pest Einhalt zu gebieten. Bevor man Speisen und Wein aufträgt, bevor wir also essen und trinken, soll uns dieser junge Priester die Lehre von Hus widerlegen. Wir hören.«
Das Gesinde schleppte auf einem Traggestell einen gebratenen Ochsen herein und hob ihn auf den Tisch. Stilette und Messer blitzten und wurden in Bewegung gesetzt. Der junge Nikolaus von Cusa erhob sich und begann zu sprechen. Obwohl die Augen des jungen Priesters beim Anblick des Bratens leuchteten, zitterte seine Stimme
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