Narrenturm - Roman

politischer oder Euer persönlicher Feind? Und was haben wir damit zu tun?«
    »Ich habe es Euch gesagt«, der Böhme scherte sich auch diesmal nicht im Geringsten um den Spott, der ihm entgegenschlug, »die Taboriten und die Waisen blicken gierig nach Schlesien. Die einen wollen Euch bekehren, die anderen nur überfallen und ausrauben. Jeden Tag können sie über euch kommen, mit Feuer und Schwert. Papst Martin, der die Einheit der Christenheit ersehnt, wird in seinem fernen Vatikan für euch beten, der Luxemburger, der Verhandlungen anstrebt, wird sich in seinem fernen Buda entrüsten und vor Wut schäumen. Albrecht von Österreich und der Bischof von Olmütz werden erleichtert aufatmen, dass es nicht sie betrifft. Aber euch werden sie hier abschlachten, in Fässern verbrennen, pfählen . . .«
    »Schon gut, schon gut.« Der Bischof winkte ab. Erspart uns die Einzelheiten, »ich kann das in Breslau in jeder Kirche aufden Bildern sehen. Ihr wollt mich, wenn ich Euch recht verstehe, davon überzeugen, dass der gewaltsame Tod einiger ganz bestimmter Taboriten Schlesien vor dem Überfall retten könnte? Vor der Apokalypse?«
    »Vielleicht nicht davor retten, ihn aber verzögern.«
    »Ohne Verpflichtungen einzugehen und ohne etwas zu versprechen, um wen ginge es denn? Wen müsste man beseitigen? Das heißt, verzeiht den
lapsus linguae,
wen müssten wir in unsere Gebete einschließen?«
    »Bohuslav von Švamberk. Jan Hvězda von Vicemilice, den Hetman von Hradec Králové. Von dort auch Jan Čapek von Sán und Ambrosius, den früheren Propst an Heilig Geist. Prokop, genannt der Kahle. Bedřich von Strážnica . . .«
    »Langsamer«, mahnte der Mauerläufer, »ich schreibe mit. Wollt Ihr Euch aber bitte auf die Umgebung von Hradec Králové konzentrieren. Wir bitten um eine Liste mit den Namen von aktiven und fanatischen Hussiten aus dem Gebiet von Nachod, Trautenau und Wiesenberg.«
    »Ha!«, rief der Böhme. »Plant Ihr etwas?«
    »Leiser, Herr.«
    »Ich möchte die frohe Botschaft nach Prag tragen . . .«
    »Und ich sage, Ihr sollt leiser sein.«
    Der Böhme verstummte in einem für Reynevan verhängnisvollen Moment. Weil er dessen Gesicht sehen wollte, hatte sich Reynevan auf die Zehenspitzen gestellt und auf der Bank zur Seite gedreht. Deren morsches Bein brach mit einem lautem Knacks, Reynevan fiel auf die Bretter und riss dabei die an die Hüttenwand gelehnten Stöcke, Stiele, Heugabeln und Spaten mit sich. Mit einem solchen Getöse, dass es vermutlich bis Breslau zu hören war.
    Er sprang sofort auf und wandte sich zur Flucht. Er hörte, wie die Wachen riefen, leider nicht nur hinter ihm. Auch vor ihm, aus der Richtung, in die er hatte fliehen wollen. Er flitzte zwischen den Gebäuden hindurch, sah nicht mehr, dass der Mauerläufer aus der Hütte stürzte.
    »Ein Spion! Ein Spiooon! Hinterher! Fangt ihn lebend! Leeeebeend!«
    Ein Knecht stellte sich ihm in den Weg, Reynevan rannte ihn um, einem zweiten, der ihn an der Schulter packte, versetzte er einen Faustschlag direkt auf die Nase. Von Flüchen und Gebrüll verfolgt, setzte er über den Zaun, schlug sich durch Sonnenblumen, Brennnesseln und Kletten, der rettende Wald war schon ganz nahe, doch hatte er leider die Verfolger immer noch auf dem Hals, denn auch von der Seite, hinter dem Schober hervor, kamen plötzlich Knechte, die ihn jagten. Einer war schon dabei, nach ihm zu greifen, als plötzlich wie aus dem Boden gestampft Scharley erschien und ihm einen großen Tontopf über den Schädel zog. Den Übrigen setzte Samson Honig zu, bewaffnet mit einer Zaunlatte. Die zwei Ellen lange Latte waagerecht haltend, brachte der Riese schon mit einem einzigen Stoß drei Männer zu Fall, bei den nächsten beiden holte er so aus, dass sie stumm zu Boden gingen und in die Kletten tauchten wie in den Schlund des Meeres. Samson schwang seine Zaunlatte und brüllte wie ein Löwe, seinem berühmten biblischen Namensvetter, dem Kämpfer gegen die schrecklichen Philister, gleichend. Die Knechte hielten einen Moment lang inne, aber eben nur einen Moment, denn schon nahte von der Scheune her Verstärkung. Samson schlug mit seiner Holzlatte auf die Soldaten ein und trat, Scharleys und Reynevans Spur folgend, den Rückzug an.
    Sie sprangen in die Sättel, ließen unter Einsatz der Fersen und mit wilden Rufen die Pferde hart angaloppieren, stürmten in einem Wirbel von Blättern durch den Buchenwald, preschten über eine Schonung und schützten die Gesichter vor den peitschenden