Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Überall lagen tote Fledermäuse, und von oben, von den Zweigen der Bäumen, fiel ein unaufhörlicher dichter Regen aus toten Insekten, Käfern, Spinnen, Raupen und Faltern zur Erde.
    »Matavermis . . .«, seufzte er. »Das war eine Matavermis . . .«
    »Sieh an«, sagte der Alte, »man kennt sich aus! Jung und doch erfahren. Steht auf. Es ist vorbei.«
    Der Alte war, wie man jetzt sehen konnte, gar nicht alt. Er war zwar kein Jüngling mehr, so viel war klar, aber die weiße Flut seiner Haare   – Reynevan hätte seinen Kopf darauf verwettet   – rührte nicht vom Alter her, sondern von dem unter Magiern weit verbreiteten Albinismus. Auch der riesenhafte Wuchs erwies sich als durch Magie hervorgerufen   – der auf seinen Stock gestützte Weißhaarige war zwar von hohem Wuchs, aber keineswegs von riesiger Statur.
    Scharley kam näher und fegte die im Grase liegenden toten Fledermäuse mit dem Fuß achtlos beiseite. Samson Honig brachte die Pferde. Der Weißhaarige betrachtete sie lange   – Samson musterte er besonders aufmerksam.
    »Drei«, sagte er dann. »Interessant. Denn zwei haben wir gesucht.«
    Warum er »wir« sagte, erfuhr Reynevan, noch bevor er sich danach erkundigen konnte. Hufschlag war zu hören, und auf der Lichtung wimmelte es plötzlich von schnaubenden Pferden.
    »Ich grüße Euch«, rief Notker von Weyrach von seinem Pferd herab. »Also sind wir uns doch noch begegnet. Das nenne ich einen Zufall!«
    »Einen Zufall!«, wiederholte Buko von Krossig mit spöttischem Unterton und drängte sein Pferd leicht an den Demeriten heran. »Umso mehr, da die Begegnung an anderer Stelle als der verabredeten erfolgt. Einer ganz anderen!«
    »Du hältst dein Wort nicht, Herr Scharley«, fügte Tassilo de Tresckow hinzu und öffnete das Visier seiner Hundsgugel. »Du hältst dich nicht an Verabredungen. Das ist schändlich.«
    »Und die Strafe dafür hat ihn nicht verfehlt, wie ich sehe.« Kuno Wittram lachte. »Beim Stab des heiligen Georgs, des Wundertäters! Schaut nur, jemand hat ihm die Ohren angeknabbert!«
    »Wir müssen hier weg!« Der Weißhaarige mischte sich in die Unterhaltung, die vor den Augen des erstaunten Reynevan stattfand. »Verfolger nahen. Reiter sind uns auf der Spur!«
    »Hab ich’s nicht gesagt!«, lachte Buko von Krossig. »Wenn wir sie retten, ziehen wir unseren Arsch aus der Schlinge. Gut. Lasst uns reiten! Herr Huon? Diese Verfolger . . .«
    »Das ist nicht irgendwer.« Der Weißhaarige betrachtete eine Fledermaus, die er an einem Flügel hielt, dann glitt sein Blick über Scharley und Samson. »Ja, da kommt nicht irgendwer dahergeritten . . . Ich hab’ es gleich erkannt, am Jucken meiner Finger hab ich es erkannt . . . Man könnte sagen: Sage mir, wer dich verfolgt, und ich sage dir, wer du bist. Oder anders: Meine Verfolger legen Zeugnis von mir ab.«
    »Ach herrjeh, Verfolger«, rief Paszko Rymbaba und wendete sein Pferd. »Wer ist das schon groß! Lasst sie nur herankommen, dann geben wir ihnen Saures!«
    »Ich glaube nicht, dass das so einfach ist«, sagte der Weißhaarige.
    »Ich auch nicht.« Buko besah sich ebenfalls die Fledermäuse. »Herr Huon? Darf ich Euch bitten?«
    Der mit Huon angesprochene Weißhaarige antwortete nicht, sondern machte mit seinem seltsam gekrümmten Stab ein Zeichen. Sofort erhob sich aus dem Gras und den Farnen ein Nebel, weiß und dicht wie Rauch. In unglaublich kurzer Zeit war der ganze Wald darin verschwunden.
    »Dieser alte Zauberer«, brummte Notker Weyrach. »Da läuft es einem kalt über den Rücken . . .«
    »Aber, aber!« Paszko lachte fröhlich. »Mir läuft gar nichts über den Rücken.«
    »Für die Leute, die uns verfolgen«, wagte Reynevan zu bemerken, »wird der Nebel kein Hindernis sein. Selbst ein magischer nicht.«
    Der Weißhaarige wandte sich um. Er blickte ihm in die Augen.
    »Ich weiß«, sagte er. »Ich weiß, Herr Sachverständiger. Deshalb ist der auch nicht für die Leute, sondern für die Pferde. Entfernt Euch mit euren so schnell es geht. Denn wenn sie den Dunst wittern, werden sie wahnsinnig.«
    »Vorwärts,
comitiva!
«

Dreiundzwanzigstes Kapitel
    in dem die Dinge einen so kriminellen Verlauf nehmen, dass Kanonikus Beess, hätte er es voraussehen können, Reynevan ohne viel Federlesens eine Tonsur geschoren und ihn der Klausur der Zisterzienser übergeben hätte. Auch Reynevan beginnt darüber nachzudenken, ob dies für ihn nicht gesünder gewesen wäre.
    D ie Köhler und Pechbrenner aus dem nahe gelegenen Dorf,

Weitere Kostenlose Bücher