Narrenturm - Roman
sie wie Bälle zurückschleuderte, andere ergriff und zerquetschte er, während die Übrigen sein Gesicht zerbissen, seine Hände benagten und sich schmerzhaft in seinen Ohren verbissen. Neben ihm hieb Scharley mit seinem Säbel um sich, dass das schwarze Fledermausblut in dicken Tropfen umherspritzte. Vier Fledermäuse saßen auf seinem Kopf, Reynevan sah, wie das in Blut in kleinen Bächlein von Stirn und Wangen hinabrann. Samson kämpfte schweigend, er zerdrückte die ihn belagernden Geschöpfe, indem er jeweils ein paar von ihnen in seinen Fäusten zermalmte. Die Pferde wurden schier verrückt, sie stiegen und wieherten wild.
Scharleys Säbel zischte dicht über Reynevans Kopf hinweg, die Klinge streifte sein Haar und fegte eine große, fette, überaus angriffslustige Fledermaus herunter.
»Weg hier!«, brüllte der Demerit. »Wir müssen abhauen! Hier können wir nicht bleiben!«
Reynevan riss sein Pferd herum, ihm war plötzlich ein Licht aufgegangen. Das waren keine gewöhnlichen Fledermäuse, das waren durch Magie herbeigerufene Ungeheuer, und das konnte nur eines bedeuten: dass sie von ihren Verfolgern ausgesandt worden waren und dass diese bald auftauchen würden. Sie ritten in vollem Galopp, sie mussten die Pferde nicht antreiben, in Panik geraten, hatten diese ihre Müdigkeit vergessen und flogen wie von Wölfen gejagt dahin. Die Fledermäuse ließen sich nicht abschütteln, griffen unaufhörlich an, suchten sie mit den Zähnen zu packen und drangen auf sie ein, im gestreckten Galopp war es schwierig, sich zu verteidigen. Das gelang nurScharley, der seinen Säbel schwang und die Fledermäuse so geschickt niedermähte, als wäre er im Lande der Tataren geboren und hätte seine ganze Jugend dort verbracht.
Reynevan jedoch war wieder einmal vom Pech verfolgt, schlimmer noch als weiland der biblische Jonas. Die Fledermäuse attackierten zwar alle drei Gefährten, aber eine hatte sich über Reynevans Stirn in seinen Haaren so verkrallt, dass er nichts mehr sehen konnte. Die fliegenden Ungeheuer griffen zwar alle drei Pferde an, aber nur Reynevans Pferd war eines direkt ins Ohr geflogen. Das Pferd ging durch, wieherte wild, schüttelte den gesenkten Kopf, bäumte sich auf, warf dann die Hinterhand mit solcher Kraft nach oben, dass Reynevan aus dem Sattel schnellte wie ein Geschoss aus einem Katapult. Nachdem es sich seines Reiters entledigt hatte, begann das Pferd wie wild loszugaloppieren, und es wäre um ein Haar in den Wald geflohen, hätte Scharley nicht zum Glück die Zügel erhascht und es zum Stehen gebracht. Scharley sprang aus dem Sattel und stürmte mit erhobenem Säbel in die Wacholderbüsche, wo die Fledermäuse auf den durch das hohe Gras schlitternden Reynevan eindrangen wie Sarazenen auf einen niedergerungenen Paladin Karls des Großen. Schreckliche Verwünschungen und hundsgemeine Schimpfwörter ausstoßend, schwang der Demerit seinen Säbel, dass das Blut nur so spritzte. Währenddessen kämpfte Samson auf seinem Pferd mit einer Hand – in der anderen hielt er die Zügel der beiden anderen ängstlich schnaubenden Pferde. Solch ein Kunststück konnte nur jemand vollbringen, der so stark war wie er.
Reynevan bemerkte als Erster, dass andere Mächte eingriffen. Vielleicht deshalb, weil er versuchte, auf allen vieren dem Getümmel zu entkommen und seine Nase dabei fast das Gras berührte. Er merkte, dass sich das Gras plötzlich flach auf den Boden legte, als hätte der Wind es geglättet. Er hob den Kopf und sah etwa zwanzig Schritte entfernt einen Mann, fast ein Greis, aber von riesiger Gestalt, mit Augen, die wie Feuer glühten, und einer Löwenmähne aus milchweißen Haaren. DerAlte hielt einen Stab in der Hand, einen seltsamen, knorrigen, gebogenen, phantastisch gekrümmten Stab, einer in ihrem Schmerz erstarrten Schlange ähnelnd.
»Auf den Boden!«, brüllte der Alte mit Donnerstimme. »Liegen bleiben!«
Reynevan drückte sich flach auf den Boden. Er spürte einen seltsamen Windstoß, der über seinen Kopf hinwegpfiff. Er hörte Scharley leise fluchen. Und vernahm plötzlich den lauten, durchdringenden Schrei der Fledermäuse, die bisher völlig lautlos angegriffen hatten. Der Schrei verstummte genauso plötzlich, wie er erklungen war. Reynevan hörte und spürte, wie ringsherum etwas Ähnliches wie ein Hagel niederging, wie reife Äpfel dumpf auf dem Boden aufschlugen. Auch in den Haaren und auf dem Rücken fühlte er etwas wie einen dünnen, trockenen Regen. Er blickte sich um.
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