Narrenturm - Roman
die in der Morgendämmerung ihrer Arbeitsstätte zustrebten, wurden durch Laute aufgeschreckt und in Unruhe versetzt, die von dort zu ihnen drangen. Die Furchtsameren unter ihnen nahmen sogleich die Beine in die Hand. Die Vernünftigeren, die zu Recht ahnten, dass heute aus der Arbeit nichts werden würde, dass keine Kohle gebrannt, Teer und Pech nicht destilliert werden würden und man obendrein noch eins auf den Buckel kriegen könnte, beeilten sich, es ihnen gleichzutun. Nur ein paar ganz Mutige näherten sich der Pechbrennerei, kamen zumindest so nahe heran, um vorsichtig von ihrem Posten hinter den Baumstämmen auf der Lichtung etwa fünfzehn Pferde und ebenso viele Bewaffnete zu erspähen, von denen ein Teil die volle Rüstung angelegt hatte. Die Köhler sahen, wie die Ritter lebhaft gestikulierten, sie hörten laute Stimmen, Rufe und Flüche. Dies überzeugte sie endgültig davon, dass sie hier nichts zu suchen hatten und sich besser davonmachten, solange noch Zeit dazu war. Die Ritter waren offensichtlich aneinander geraten, sie stritten, einige waren regelrecht wütend, und von solchen Rittern hatte ein armer Dorfbewohner nur das Schlimmste zu erwarten, an ihm ließen sie für gewöhnlich ihre Wut aus und reagierten sich so ab. Fürwahr, ein Dorfbewohner, der einemZornigen von hoher Geburt über den Weg lief, riskierte nicht nur, die Faust auf die Nase, einen Fußtritt in den Hintern oder die Peitsche über den Rücken gezogen zu bekommen, es kam auch vor, dass der Herr Ritter in seiner Wut zum Schwert, zum Streitkolben oder zur Streitaxt griff.
Die Köhler rannten davon. Und schlugen im Dorf Lärm. Denn es passierte den wutentbrannten Rittern immer wieder mal, dass sie ein Dorf anzündeten.
Auf der Köhlerwiese tobte ein heftiger Streit, der sich immer mehr verschärfte. Buko von Krossig brüllte so laut, dass die von den Knappen gehaltenen Pferde scheuten. Paszko Rymbaba redete mit Händen und Füßen, Woldan von Nossen stieß wilde Flüche aus, Kuno Wittram rief alle Heiligen als Zeugen an. Scharley versuchte, einigermaßen ruhig zu bleiben. Notker von Weyrach und Tassilo de Tresckow bemühten sich, die Kampfhähne zu beschwichtigen.
Der weißhaarige Magier saß nicht weit davon entfernt auf einem Baumstrunk und bekundete seine Geringschätzung.
Reynevan wusste, worum es ging. Er hatte es in der Nacht erfahren, nachdem sie durch die Wälder galoppiert, durch Eichen- und Buchenhaine geprescht waren, sich ständig umsehend, ob nicht etwa die Verfolger aus dem Dunkel auftauchten, ob nicht die Reiter in den wehenden Mänteln erschienen. Aber es hatte keine Verfolgung mehr stattgefunden, und man konnte reden. Endlich hatte Reynevan alles von Samson Honig erfahren. Er hatte es erfahren und war wie vom Donner gerührt.
»Ich verstehe das nicht . . .«, sagte er, als er sich wieder etwas beruhigt hatte. »Ich begreife nicht, wie ihr euch dafür hergeben konntet!«
»Willst du mir damit etwa sagen«, Samson drehte sich zu ihm um, »du hättest, wenn es um einen von uns gegangen wäre, keinen Versuch zu unserer Rettung unternommen? Nicht einmal einen völlig unzureichenden? Willst du mir das wirklich sagen?«
»Nein, das will ich nicht. Aber ich begreife einfach nicht, wie . . .«
»Eben«, unterbrach ihn der Riese auf eine für ihn ungewöhnlich heftige Weise, »ich versuche, dir ja zu erklären, wie. Aber du kommst mir ja ständig mit deinen Anfällen höchster Entrüstung. So hör doch zu! Wir hatten in Erfahrung gebracht, dass sie dich nach Schloss Stolz bringen würden, um dich dort bald zu ermorden. Der schwarze Wagen des Steuereinnehmers war Scharley schon vorher aufgefallen. Als dann plötzlich Notker Weyrach mit seiner
comitiva
auftauchte, ergab der Plan sich wie von selbst.«
»Mithilfe bei einem Überfall auf den Steuereinnehmer, Beteiligung an einem Raub – anstatt mich zu befreien?«
»Tu nicht so, als wärest du selbst dabei gewesen! Genau das haben wir vereinbart. Und als Buko Krossig von dem Unternehmen erfahren hat, wahrscheinlich weil jemand geschwatzt hat, haben wir auch ihn mit dazunehmen müssen.«
»Und jetzt haben wir die Bescherung!«
»Die haben wir jetzt«, stimmte ihm Samson ruhig zu.
Sie hatten sie. Die Kontroverse auf der Köhlerwiese wurde immer heftiger, so sehr, dass dem einen oder anderen Worte allein nicht mehr genügten, wie sich etwa bei Buko von Krossig zeigte. Der Raubritter trat an Scharley heran und packte ihn mit beiden Händen am Wams.
»Wenn du noch
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