Narrenturm - Roman
Mater!
Dreimal neun! Heia!«
Zu den Dreien gesellten sich weitere drei Hexen und drei Zauberer, alle zusammen bildeten sie, sich an den Händen haltend, einen Kreis. Auf ihre Schreie und anfeuernde Rufe hin traten die nächsten hinzu. In der gleichen Position, die Gesichter nach außen, den neun im Zentrum den Rücken zugewandt, formierten sie den nächsten Kreis. Sofort wurde ein weiterer Kreis gebildet, dann der nächste, der nächste und so fort, jedermit dem Rücken zum vorherigen und, natürlich, immer größere und aus immer mehr Personen. Umgaben den von der Domina und ihren Gefährten geschaffenen
nexus
nicht mehr als dreißig, so waren es im letzten, im äußeren Kreis wenigstens dreihundert. Reynevans Nachbarin war eine der maskierten Edeldamen. Nicolettas Hand drückte ein seltsames Geschöpf in Weiß.
»Heia!«
»Magna Mater!«
Der nächste lang anhaltende Schrei und eine wilde Musik, die von irgendwoher erklang, gaben das Signal – die Tanzenden setzten sich in Bewegung, die Kreise begannen sich zu drehen und zu wirbeln. Das schneller und schneller werdende Wirbeln verlief gegenläufig, jeder Kreis wirbelte in der entgegengesetzten Richtung des nächsten. Der Anblick allein verursachte Schwindel, die ständige Bewegung, die wahnsinnige Musik und die frenetischen Schreie vollendeten das Werk. Vor Reynevans Augen begann der Sabbat in ein Kaleidoskop von Farbflecken zu zerfallen, die Beine, schien es, hatten aufgehört den Boden zu berühren. Er verlor das Bewusstsein.
»Heiaaa! Heiaaa!«
»Lilith! Astarte! Kybele!«
»Hekate!«
»Heiaaaa!«
Er wusste nicht, wie lange es gedauert hatte. Er wachte auf der Erde auf, inmitten anderer, die lagen oder sich langsam erhoben. Nicoletta war bei ihm, sie hatte seine Hand nicht losgelassen.
Immer noch ertönte Musik, aber die Melodie hatte sich verändert, die wilde und pulsierende monotone Begleitung des wirbelnden Tanzes hatten einfache, schöne und schwungvolle Weisen ersetzt, in deren Rhythmus die sich erhebenden Hexen zu singen, zu tanzen und zu hüpfen begannen. Einige davon wenigstens. Andere erhoben sich aus dem Gras, auf das sie nach dem Tanz gesunken waren. Ohne ganz aufzustehen, bildetensie Paare – die Mehrzahl zumindest –, denn es fanden sich auch drei oder vier Personen zusammen, und noch andere, aus mehr Personen bestehende Gruppen bildeten sich. Reynevan konnte seinen Blick nicht davon lösen, er starrte und leckte sich die Lippen, ohne es zu bemerken. Nicoletta – er sah, dass auch ihr Gesicht nicht nur vom Schein des Feuers erhitzt war – zog ihn wortlos mit sich. Als er den Kopf wandte, wies sie ihn zurecht.
»Ich weiß, das ist die Salbe . . .« Sie schmiegte sich an ihn. »Die Flugsalbe bringt sie so in Wallung. Aber sieh nicht hin. Es kränkt mich, wenn du dorthin siehst.«
»Nicoletta . . .«, er presste ihre Hand, »Katharina . . .«
»Ich bin lieber Nicoletta«, unterbrach sie ihn sofort. »Aber dich . . . dich will ich lieber Reinmar nennen. Als ich dich kennen lernte warst du ein verliebter Aucassin, das muss ich zugeben. Aber du warst es nicht für mich. Bitte sag nichts. Es bedarf keiner Worte.«
Die Flamme eines nahen Feuer loderte auf, Funken stiegen in den Himmel empor. Die um das Feuer Herumtanzenden jauchzten fröhlich auf.
»Sie sind so ausgelassen«, brummte er, »dass sie nicht bemerken, wenn wir uns wegschleichen. Und es ist wohl an der Zeit, uns davonzustehlen . . .«
Sie wandte das Gesicht ab, der Widerschein des Feuers tanzte auf ihren Wangen.
»Wohin willst du so eilig?«
Noch bevor er aufgehört hatte, sich zu wundern, hörte er, wie jemand näher kam.
»Schwester und Confrater!«
Vor ihnen stand die Rothaarige, Hand in Hand mit der jungen Wahrsagerin mit dem Fuchsgesicht
»Wir haben da etwas.«
»Bitte?«
»Elisa hier«, die Rothaarige lachte fröhlich, »hat sich endlich entschlossen, eine Frau zu werden. Ich glaube, dass es egal ist,mit wem, es fehlt nicht an solchen, die geneigt wären. Aber sie hat sich darauf versteift wie eine Ziege. Kurz gesagt: Nur er und abermals er. Das heißt, du, Toledo.«
Die Wahrsagerin schlug ihre Augen mit den dunklen Ringen darunter nieder. Reynevan schluckte.
»Sie«, fuhr die
bona femina
fort, »sie schämt sich und wagt sich nicht, direkt zu fragen. Sie hat auch ein bisschen Angst vor dir, Schwester, ob du ihr nicht die Augen auskratzt. Aber da die Nacht kurz ist und es vergeudete Zeit wäre, sich gegenseitig um die Büsche zu jagen, frage ich
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