Narrenturm - Roman
anzutreten. Zwei Pferde, von denen eines zuschanden geritten ist, für drei Leute. Und die Tatsache, dass einer von uns verwundet ist. Was macht deine Schulter, Samson?«
Der Riese antwortete nicht, er war mit seinem Bier beschäftigt und bewegte nur leicht den verbundenen Arm, um zu zeigen, dass damit alles in Ordnung war.
»Das freut mich.« Scharley blickte zum Himmel empor. »Ein Problem weniger. Aber die anderen verschwinden nicht.«
»Sie werden verschwinden. Teilweise wenigstens.«
»Was willst du damit sagen, teurer Reinmar?«
»Diesmal«, Reynevan hob stolz den Kopf, »helfen uns nicht deine, sondern meine Beziehungen. Ich habe in Frankenstein Bekannte.«
»Es geht doch nicht etwa, wenn mir die Frage gestattet ist«, Scharley zeigte sein Interesse, indem er möglichst gleichgültig dreinblickte, »zufällig um eine verheiratete Frau? Um eine Witwe? Eine junge Frau im heiratsfähigen Alter? Eine Nonne? Eine andere Evastochter, eine typische Verteterin des schönen Geschlechts?«
»Blöder Scherz! Und völlig unbegründete Befürchtungen. Mein Bekannter hier ist Diakon an der Heilig-Kreuz-Kirche. Ein Dominikaner.«
»Ha!« Scharley stellte schwungvoll seinen Humpen auf die Bank. »Wenn das so ist, dann ist mir die nächste Ehefrau bei weitem lieber. Lieber Reinmar, verspürst du nicht zufällig heftige Kopfschmerzen? Übelkeit oder Schwindelgefühle? Siehst du nicht etwa doppelt?«
»Ich weiß schon. Ich weiß, was du damit sagen willst.« Reynevan winkte ab. »
Domini canes
, die Spürhunde des Herrn, schade nur, dass sie bissig sind. Immer im Dienst der Inquisition. Das ist banal, mein Herr, banal. Und zudem, das musst du mir glauben, hat der Diakon, von dem hier die Rede ist, eine Dankesschuld abzutragen, eine recht große Dankesschuld. Peterlin, mein Bruder, hat ihm einst geholfen, hat ihn aus schwerer finanzieller Bedrängnis errettet.«
»Und du meinst, das hätte etwas zu bedeuten. Wie heißt denn dieser Diakon?«
»Was denn, kennst du sie etwa alle?«
»Ich kenne viele. Welchen Namen hat er?«
»Andreas Kantor.«
»Finanzielle Nöte scheinen in dieser Familie erblich zu sein«, meinte der Demerit nach kurzem Staunen. »Ich habe von Paul Kantor gehört, dem halb Schlesien wegen seiner Schulden und Ausflüchte auf den Fersen war. In Karmel hat Matthäus Kantor mit mir gesessen, der Vikar von Langewiese. Er hat das Ziborium und das Weihrauchfass beim Würfeln verspielt. Ich wage gar nicht daran zu denken, was dein Diakon verspielt hat.«
»Das ist eine alte Geschichte.«
»Du hast mich nicht verstanden. Ich fürchte mich, daran zu denken, was er in letzter Zeit verspielt hat.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»O Reinmar, Reinmar! Du hast dich bereits mit jenem Kantor getroffen, nehme ich an?«
»Ich habe ihn getroffen, ja und? Aber ich verstehe dich immer noch nicht . . .«
»Wie viel weiß er? Was hast du ihm erzählt?«
»So gut wie nichts.«
»Das ist die erste gute Nachricht. Ersparen wir uns also diese Bekanntschaft und verzichten auf die Hilfe des Dominikaners. Die Mittel, die wir brauchen, werden wir auf andere Art zusammenbringen.«
»Ich bin neugierig, wie.«
»Beispielsweise, indem wir diesen kunstvoll gefertigten Krug verkaufen.«
»Ein silberner Krug. Woher hast du den?«
»Ich bin über den Markt geschlendert, habe mir die Buden angeschaut, da fand sich der Krug plötzlich in meiner Tasche wieder. Das ist das ganze Geheimnis.«
Reynevan seufzte. Samson blickte in seinen Humpen, starrte sehnsüchtig auf den übrig gebliebenen Schaum. Scharley hingegen war damit beschäftigt, einen Ritter zu beobachten, der in den nahen Arkaden einen Juden beschimpfte, welcher sich unaufhörlich vor ihm verbeugte. Der Ritter trug einenkarmesinroten
chaperon
und einen reichen Lendner, den auf der Vorderseite ein Wappen, einen Mühlstein darstellend, zierte.
»Schlesien als solches«, meinte der Demerit, »lasse ich im Prinzip ohne Bedauern hinter mir. Ich sage ›im Prinzip‹, denn eines reut mich. Jene fünfhundert Gulden, die der Steuereinnehmer mit sich führte. Unter anderen Umständen hätte das Geld uns gehören können. Mich macht es wütend, das gebe ich zu, dass so ein Tölpel wie Buko von Krossig rein zufällig und unverdienterweise fett daran wird. Wer weiß, vielleicht ist es dieser Reichenbach, der dort gerade den Israeliten als räudigen Hund und als Schwein beschimpft? Oder vielleicht einer von denen, die neben der Bude des Sattlers stehen?«
»Ausgesprochen viel
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