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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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. .«
    »Du hast auf mich gehört«, unterbrach ihn Samson, der sich auch nicht mehr das Geringste aus den Frotzeleien machte. »Wie sich gezeigt hat, war dies eine kluge Entscheidung.«
    »Das lässt sich nicht leugnen. Ach, Reinmar, wie freut es mich, dich hier auf dem Marktplatz der Stadt Frankenstein zu sehen, hier vor diesem Stand mit Pantoffeln, im Schatten des Rathausturmes. Habe ich dir schon gesagt, wie sehr . . .«
    »Hast du.«
    »Ich freue mich deshalb so sehr, dich zu sehen«, der Demerit ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, »weil ich, was ich beabsichtige, dir mitzuteilen, meine Pläne geringfügig geändert habe. Nach deinen letzten Heldentaten, besonders nach dem Husarenstückchen mit Hayn von Czirne, deiner Glanznummer auf dem Münsterberger Turnier und nachdem du Bukogegenüber den Mund im Hinblick auf den Steuereinnehmer nicht halten konntest, hatte ich mir geschworen, dass ich dich, wenn wir nach Ungarn kommen und du in Sicherheit bist, gleich nach unserer Ankunft in Buda auf die Brücke über die Donau führe und dich mit einem Tritt in den Arsch in den Fluss befördere. Erfreut und gerührt ändere ich hiermit heute meine Pläne. Vorläufig wenigstens. Holla, Herr Wirt! Bier! Und zwar schnell!«
    Sie mussten warten, denn der Schankwirt hatte es nicht sonderlich eilig. Anfangs hatten ihn Miene und Bestimmtheit, mit der Scharley die Bestellung aufgab, getäuscht, aber er konnte dann doch nicht umhin zu bemerken, dass seine Gäste, als sie die Suppe bestellten, fieberhaft rechneten und ihre Schott und Heller ganz unten aus dem Geldsäckel und aus den Tiefen der Taschen hervorkramten. Die Schenke unter den Arkaden gegenüber vom Rathaus war keineswegs mit Gästen überfüllt, aber der Schankwirt war viel zu sehr von sich eingenommen, als dass er mit übertriebenem Eifer auf die Rufe dahergelaufener Taugenichtse reagiert hätte.
    Reynevan trank sein Bier und blickte auf die verwahrlosten Kinder, die in der gelb schäumenden Pfütze zwischen Pranger und Brunnen herumpatschten.
    »Kinder sind die Zukunft eines Volkes.« Scharley hatte seinen Blick aufgefangen. »Unsere Zukunft. Sie sieht zwar nicht gerade vielversprechend aus, zum einen ist sie mager, zum anderen stinkt sie, ist schmutzig und unappetitlich. Aber was soll’s!«
    »Das ist wahr«, stimmte ihm Samson zu. »Aber man kann etwas dagegen tun. Statt zu murren, müsste man sich um sie kümmern. Sie waschen. Sie füttern. Sie erziehen. Und schon ist die Zukunft gesichert.«
    »Und wer sollte sich deiner Meinung nach darum kümmern?«
    »Ich nicht.« Der Riese zuckte mit den Achseln. »Ich bin dafür nicht zuständig. Ich habe in dieser Welt ohnehin keine Zukunft.«
    »Stimmt. Das habe ich ganz vergessen.« Scharley warf einem in der Nähe herumstreunenden Hund ein Stückchen Brot zu, das er in einen Suppenrest getaucht hatte. Der Hund war so abgemagert, dass er einen Buckel hatte. Er fraß das Brot nicht, sondern verschlang es, wie weiland der Walfisch den Jonas.
    »Ich möchte wissen«, überlegte Reynevan, »ob diese Töle je einen Knochen gesehen hat.«
    »Zumindest damals«, sagte der Demerit gleichgültig, »als er sich die Pfote gebrochen hatte. Aber, wie Samson gerade so treffend bemerkt hat, ich bin dafür nicht zuständig. Auch ich habe hier keine Zukunft, und wenn doch, dann scheint sie mir noch beschissener als die von diesen Kindern und noch trauriger als die von diesem Hund. Ungarn scheint mir momentan ferner als Ultima Thule. Ich lasse mich von der gegenwärtigen Idylle des stillen Städtchens Frankenstein, dem Bier, der Bohnensuppe und dem Brot mit Salz nicht täuschen. Jeden Augenblick trifft Reynevan irgendein Fräulein, und dann kommt, was kommen muss. Dann müssen wir wieder unsere Köpfe retten und fliehen, um am Ende in einer Einöde zu landen. Oder in widerwärtiger Gesellschaft.«
    »Aber, Scharley«, auch Samson warf dem Hund Brot zu, »von Troppau sind wir weniger als zwanzig Meilen entfernt. Und von Troppau nach Ungarn sind es etwa achtzig Meilen. Das ist doch gar nicht so viel.«
    »Du hast also in deiner anderen Welt die Geographie des östlichen Europas studiert, wie ich sehe?«
    »Ich habe vielerlei studiert, aber darum geht es hier nicht. Sondern darum, dass wir positiv denken müssen.«
    »Ich denke immer positiv.« Scharley nahm einen Schluck Bier. »Meinen Optimismus bringt nur selten etwas ins Wanken. Und dann muss es etwas Ernsthaftes sein. Wie zum Beipiel die Aussicht, ohne Geld eine lange Reise

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