Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
nach Mist und Pferdepisse stank. Etliche Spatzen badeten darin, und darum herum saß eine Gruppe von Kindern, abgerissen, struppig und schmutzig, die damit beschäftigt waren, in diesem Dreck zu wühlen, sich gegenseitig zu bespritzen, zu lärmen und Rindenschiffchen schwimmen zu lassen.
    »Ja, Reinmar«, Scharley hatte seine Suppe schon aufgegessen und kratzte jetzt mit dem Löffel auf dem Boden der Schüssel herum, »ich muss zugeben, dein Flug hat mir imponiert. Du bist ziemlich gut geflogen, wirklich, man könnte sagen, so wie ein Adler. Der König der Lüfte. Weißt du noch, ich habe es dir vorausgesagt, damals, nach deiner Levitation bei den Waldhexen. Dass du ein Adler wirst. Und du bist es geworden. Obwohl ich nicht glaube, dass dies ohne den Beistand Huon von Sagars geschehen wäre, aber immerhin. Ich schwör’s bei meinem Pimmel, Junge, du machst meiner Meinung nach riesige Fortschritte. Wenn du dich noch etwas mehr anstrengst, wird aus dir ein Merlin. Dann baust du uns hier in Schlesien ein Stonehenge. So eins, dass sich das englische dahinter verstecken kann.«
    Samson lachte laut.
    »Und was ist mit der Tochter von Biberstein?« Nach einer ganzen Weile ergriff Scharley wieder das Wort. »Hast du sie sicher bis zum Tor des väterlichen Schlosses begleitet?«
    »Fast.« Reynevan knirschte mit den Zähnen. Vergeblich hatteer Nicoletta den ganzen Morgen über gesucht, hatte ganz Frankenstein abgelaufen; hatte in die Gaststuben geschaut, hatte nach der Messe vor St. Anna Ausschau gehalten, war zur Münsterberger Pforte und zum Weg, der nach Stolz führte, gelaufen, hatte herumgefragt, war durch die Tuchhallen am Markt geirrt. Und genau dort hatte er zu seiner großen Freude und Erleichterung Scharley und Samson wiedergetroffen.
    »Sicher ist das Mädchen schon zu Hause«, fügte er hinzu.
    Diese Hoffnung hegte er, darauf setzte er. Schloss Stolz trennte von Frankenstein keine ganze Meile, der Weg, der nach Münsterberg und Oppeln führte, war viel befahren, Katharina von Biberstein brauchte nur ihren Namen zu nennen und jeder Kaufmann, jeder Ritter und jeder Mönch hätte sie mitgenommen oder ihr weitergeholfen. Reynevan konnte es nahezu für sicher halten, dass das Mädchen wohlbehalten dort eingetroffen war. Ihn bedrückte nur, dass nicht er es war, der ihr sicheres Geleit hatte bieten können. Und nicht nur das lastete auf ihm.
    »Wenn du nicht gewesen wärest«, Samson Honig schien seine Gedanken zu lesen, »hätte das Fräulein Schloss Bodak nicht lebend verlassen. Du hast sie gerettet.«
    »Und vielleicht uns auch.« Scharley leckte seinen Löffel ab. »Der alte Biberstein hat sofort seine Häscher losgeschickt, und wir befinden uns, falls ihr das noch nicht bemerkt haben solltet, ganz in der Nähe der Stelle, wo der Überfall stattgefunden hat, sind ihr jedenfalls bedeutend näher noch als gestern Abend. Wenn man uns finge . . . Hmm . . . Vielleicht käme uns das Fräulein, ihrer Rettung eingedenk, zu Hilfe und würde sein Väterchen anflehen, unsere Glieder heil zu lassen?«
    »Wenn sie das will«, bemerkte Samson trocken. »Und wenn sie es rechtzeitig schafft.«
    Reynevan sagte nichts dazu. Er aß seine Suppe auf.
    »Ihr habt mich auch beeindruckt«, sagte er dann. »Fünf Raubritter und Raufbolde auf Bodak, bewaffnet. Aber ihr seid mit ihnen fertig geworden . . .«
    »Sie waren betrunken.« Scharley verzog das Gesicht. »Wenn sie’s nicht gewesen wären . . .« Scharley verzog erneut das Gesicht. »Aber das ist wahr, dass ich die Überlegenheit, die der hier anwesende Samson Honig im Kampfe gezeigt hat, außerordentlich bewundert habe. Wenn du gesehen hättest, Reinmar, wie er das Tor eingeschlagen hat! Ha, in der Tat, wenn Königin Hedwig so einer an der Pforte des Wawelschlosses beigestanden hätte, säßen jetzt die Habsburger auf dem polnischen Thron . . . Und dann hat unser Samson die schurkischen Philister bezwungen. Kurz gesagt: Ihm verdanken wir es, dass wir beide noch am Leben sind.«
    »Aber, Scharley . . .«
    »Dir verdanken wir es, dass wir noch am Leben sind, du bescheidener Mensch. Punktum. Wisse Reinmar, nur seinetwegen haben wir dich wiedergefunden. An der Weggabelung, als wir uns entscheiden mussten, war ich nämlich für Wartha, aber Samson hat auf Frankenstein bestanden. Hat behauptet, er habe es im Gefühl. Normalerweise lache ich ja über solche Vorahnungen, aber in diesem Fall, wenn man es mit einem übernatürlichen Wesen, einem Besucher aus einer anderen Welt, zu tun hat .

Weitere Kostenlose Bücher