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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erlangten Wort. In jedem Winkel lauert ein Hussit! Ich habe vor gar nicht langer Zeit einen hohen Geistlichen sagen hören, es gehe ihm nur um Reichtum und Macht, wenn dies nicht wäre, könnten die Hussiten die Kommunion seinetwegen mit Hilfe eines Klistiers nehmen, das würde ihn nicht kümmern. Und du, du hättest Peterlin, wäre er nicht getötet worden, in den Kerker geworfen, ihn gequält, Geständnisse aus ihm herausgepresst und ihn verbrannt. Und wofür? Dafür, dass er Bücher las?«
    »Es reicht, Reinmar, es reicht.« Der Inquisitor verzog das Gesicht. »Halte dich zurück und werde nicht geistlos. Wenn du so weitermachst, bist du bald so weit, mir das Schicksal Konrads von Marburg vor Augen zu halten.« Er sah Reynevan an. »Du begibst dich nach Böhmen«, sprach er nach einer Weile gebieterisch. »Du wirst tun, was ich befehle. Du wirst dienen. Auf diese Weise rettest du deinen Kopf. Und zum Teil sühnst du dadurch die Schuld deines Bruders. Denn dein Bruder war schuldig. Und nicht nur, weil er Bücher las.« »Fanatismus wirst du mir nicht vorwerfen«, fuhr er fort. »Stell dir vor, mich stören Bücher nicht, auch keine falschen und häretischen. Ich bin der Ansicht, stell dir vor, dass man keines verbrennen sollte, denn
libri sunt legendi, non comburendi.
Dass man auch falsche und verworrene Ansichten respektieren kann, dass man, so man ein wenig mit philosophischen Denkweisen vertraut ist, wissen kann, dass es kein Monopol auf Wahrheit gibt, dass vieles, was früher als falsch verschrien war, heute als wahr gilt und umgekehrt. Aber der Glaube und dieReligion, die ich verteidige, bestehen nicht nur aus Thesen und Dogmen. Der Glaube und die Religion, die ich verteidige, sichern die öffentliche Ordnung. Fehlt diese Ordnung, dann entstehen Chaos und Anarchie. Nur Missetäter wollen Chaos und Anarchie. Und Missetäter muss man bestrafen.« Er seufzte. »Die Schlussfolgerung daraus: Peter von Bielau und seine Dissidenten-Kommilitonen mögen Wyclif, Hus, Arnold von Brescia und Joachim von Fiore lesen. Joachim von Fiore ja, aber nicht Fra Dolcino, nicht die Ciompi, nicht die Jaquérie. Wyclif ja, aber nicht Wat Tyler. Hier endet meine Toleranz, Reinmar. Ich werde nicht zulassen, dass sich bei uns die
fraticelli
und die Pikarden breit machen. Ich werde die Anhänger von Tyler und John Ball gnadenlos verfolgen, ich vernichte alle zukünftigen Dulcineaner, die Anhänger von Cola di Rienzo, Petrus von Bruys, Korand, Želivský, Loquis und Žižka. Und der Zweck«, setzte er nach kurzem Schweigen hinzu, »der Zweck heiligt die Mittel. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich,
qui non est mecum, contra me est.
Und noch Johannes 15,6: Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie solche Reben, die man sammelt und ins Feuer wirft: Er verdorrt und muss brennen. Brennen! Hast du verstanden? Ich sehe, du hast verstanden.«
    Der Gefolterte hatte schon seit längerer Zeit nicht mehr geschrien. Wahrscheinlich bekannte er. Sprach. Bekannte sich mit zitternder Stimme zu allem, was Bruder Arnulf von ihm verlangte.
    Hejncze erhob sich.
    »Du wirst ein wenig Zeit haben, die Sache zu überdenken. Ich muss schnellstens nach Breslau zurückkehren. Ich will dir etwas verraten: Ich hatte angenommen, dass ich hier hauptsächlich Irre verhören würde, und doch, na bitte, hat sich ein Juwel gefunden. Einer deiner Mitgefangenen, ein Pfäfflein vom Falkenberger Kollegiat, hat mit eigenen Augen einen Dämon gesehen, kann ihn beschreiben und würde ihn wiedererkennen. Den, der am Mittag zerstört, wenn du dich an den Psalm erinnerst. Also will ich schnell eine kleine Gegenüberstellungin die Wege leiten. Wenn ich zurückkomme, und ich komme bald zurück, spätenstens an St. Lucia, bringe ich dem Narrenturm einen neuen Bewohner mit. Ich habe ihm das einmal versprochen, und ich halte mein Wort. Du aber, Reinmar, denk gut nach. Wäge das Für und Wider sorgfältig ab. Wenn ich zurückkomme, will ich wissen, wie du dich entschieden hast und hören, aus welchen Gründen. Ich hätte gerne, dass du die richtige Entscheidung triffst. Dass du dich bereiterklärst, zu dienen und mit mir zusammenzuarbeiten. Wenn nicht, dann   – bei Gott   – wirst du, obwohl du mein Studienfreund bist, für mich nur noch eine verdorrte Rebe sein. Dann überlasse ich dich Bruder Arnulf, ich selbst werde mich mit dir dann nicht mehr befassen. Ich werde dich mit ihm allein lassen.« Er sah Reynevan an. »Natürlich erst«, setzte er nach einer Weile hinzu,

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