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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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auf Böhmisch den Hirtenstab. Dann werden die Kräuter in der Hütte getrocknet. Und daraus kocht man einen Sud, den . . .«
    »Den man dem Vieh zu saufen gibt«, fiel ihm der Sulimer insWort. »Das heißt, du hast mich wie eine Kuh behandelt, die Blähungen hat. Na, aber da es nun mal geholfen hat . . .«
    »Erzürnt Euch nicht, Herr Zawisza, die Volksweisheit ist groß. Keiner der großen Ärzte und Alchimisten hat sie verschmäht, weder Plinius noch Galen, weder Walahfrid Strabo noch die gelehrten Araber, weder Gerbert d’Aurillac noch Albertus Magnus. Die Medizin hat viel vom Volke übernommen, ganz besonders von den Schäfern. Denn sie verfügen über ein großes und unerschöpfliches Wissen über die Kräuter und deren Heilkraft. Und über . . . andere Kräfte.«
    »In der Tat?«
    »In der Tat«, bestätigte Reynevan und rückte näher ans Feuer, um besser sehen zu können. »Ihr werdet es nicht glauben, Herr Zawisza, wie viel Kraft in diesem Bündel steckt, in diesem Strohwisch aus des Schäfers Bude, für den keiner einen Pfennig geben würde. Schaut hier: Kamille, Seerose, nichts Besonderes, wie es scheint, aber wenn man daraus einen Aufguss macht, wirken sie Wunder. So auch die, die ich Euch verabreicht habe: Katzenpfötchen, Bärenklau und Engelwurz. Und diese hier heißen im Böhmischen Spořyček und Sedmikraska. Nur wenige Ärzte wissen, wie wirksam sie sind. Mit einem Aufguss aus diesen, die sie Jakobskraut nennen, besprengen die Schäfer ihre Herden zum Schutz vor den Wölfen, im Mai, zu Sankt Philippus und Jakobus. Glaubt es oder nicht, aber ein damit besprengtes Schaf rührt der Wolf nicht an. Dies hier sind Sankt-Wendelin-Beeren, und das ist Sankt-Linhart-Kraut, beide Heiligen sind, wie Ihr sicher wisst, neben Sankt Martin die Schutzpatrone der Schäfer. Wenn man den Tieren diese Kräuter gibt, muss man diese Heiligen anrufen.«
    »Aber was du über dem Kessel gemurmelt hast, war nicht von den Heiligen.«
    »War es nicht«, gab Reynevan, sich räuspernd, zu. »Ich habe Euch doch gesagt, die Volksweisheit . . .«
    »Diese Weisheit schmeckt nach Scheiterhaufen«, sagte der Sulimer ernst. »An deiner Stelle würde ich aufpassen, wen ichheile. Mit wem ich rede. Und vor wessen Verstand ich mich auf Gerbert d’Aurillac berufe. Ich würde vorsichtig sein, Reinmar.«
    »Ich bin vorsichtig.«
    »Ich denke«, ließ sich der Knappe Wojciech vernehmen, »wenn es schon Zauber gibt, dann ist es besser, man kennt sie, als dass man sie nicht kennt. So denke ich . . .«
    Er verstummte unter dem drohenden Blick Zawiszas.
    »Ich denke«, versetzte der Ritter von Garbowo heftig, »dass alles Übel dieser Welt vom Denken kommt. Besonders bei Leuten, die dazu überhaupt keine Voraussetzung haben.«
    Wojciech beugte sich noch tiefer über den Zügel, den er gerade reinigte und einfettete. Reynevan wartete eine Zeit lang, bevor er weitersprach.
    »Herr Zawisza?«
    »Hmmm?«
    »In der Schenke, im Streit mit jenen Dominikanern habt Ihr erkennen lassen . . . Na . . . Als ob . . . Ihr zu den böhmischen Hussiten hieltet. Dass Ihr eher für als gegen sie seid.«
    »Und da hast du sofort Verstand und Häresie gleichgesetzt?«
    »Auch«, gestand Reynevan nach einigem Zögern. »Aber noch mehr würde mich interessieren . . .«
    »Was interessiert dich?«
    »Wie das war . . . Wie das war im Jahre zweiundzwanzig bei Deutsch-Brod? Als Ihr in böhmische Gefangenschaft geraten seid? Darüber gibt es schon Legenden . . .«
    »Und welche?«
    »Etwa, dass die Hussiten Euch ergriffen haben, weil Euch eine Flucht ehrlos erschien und Ihr als Gesandter nicht kämpfen durftet.«
    »So sagt man?«
    »Ja. Und auch, dass . . . Dass König Sigismund Euch im Stich gelassen hat. Und selbst ehrlos geflohen ist.«
    Zawisza schwieg eine Weile.
    »Und du möchtest nun wissen, was wirklich geschehen ist, oder?«, fragte er schließlich.
    »Wenn es Euch nichts ausmacht . . .«, meinte Reinmar zögernd.
    »Was soll’s mir ausmachen? Beim Reden vergeht die Zeit schneller. Warum also sollen wir nicht reden?«
    Trotz dieser Erklärung schwieg der Ritter von Garbowo erneut und spielte mit seinem leeren Becher. Reynevan war sich nicht sicher, ob er nicht auf eine Frage wartete, aber er beeilte sich nicht, sie zu stellen. Dies erwies sich als richtig.
    »Beginnen, scheint mir«, hob Zawisza an, »muss ich wohl am Anfang. Der ist so, dass mich König Władisław Jagiełło in einer ziemlich delikaten Angelegenheit zum römischen König geschickt hat . . . Es

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