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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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entgegen rollten ihre berüchtigten Gefährte, von denen uns Büchsen, Haubitzen und Tarrasbüchsen anbleckten . . .
    Da wandten sich die stolzen deutschen Helden, Albrechts hochnäsige österreichische Panzerreiter, die Magyaren, der mährische und der Lausitzer Adel und Spanos Söldner wie ein Mann zur Flucht. Doch, Junge, du hast dich nicht verhört: Bevor die Hussiten auf Pfeilschusslänge herangekommen waren, lief Sigismunds Armee in wilder Flucht, in vollständiger Panik Hals über Kopf davon Richtung Deutsch-Brod. Gestandene Ritter ergriffen die Flucht, rannten sich gegenseitig um und stürmten übereinander hinweg, aus Angst vor Prager Schustern und Seilern, vor zerlumpten Bauern, die sienoch vor kurzem verspottet hatten. Sie rannten in hellem Aufruhr und höchster Angst davon und warfen unterwegs die Waffen weg, die sie in diesem Kreuzzug meist gegen Wehrlose erhoben hatten. Sie flohen, Junge, vor meinen verwunderten Augen wie Feiglinge, wie Rotzbengel, die der Gärtner beim Pflaumenstehlen erwischt hat. Als ob sie . . . Angst vor der Wahrheit hätten. Vor der Losung VERITAS VINCIT, die auf den hussitischen Standarten stand.
    Den Ungarn und den gepanzerten Herrn gelang es in großer Zahl, auf das linke Ufer der zugefrorenen Sázava zu entkommen. Dann brach das Eis. Ich rate dir von Herzen, Junge, solltest du jemals im Winter kämpfen müssen, fliehe niemals in voller Rüstung übers Eis. Niemals!«
    Reynevan schwor sich, dass er das nie tun würde. Der Sulimer seufzte und räusperte sich.
    »Wie ich schon sagte«, fuhr er fort, »obwohl die Ritter ihre Ehre verloren hatten, retteten sie doch ihre Haut. Die meisten zumindest. Das Fußvolk aber, Hunderte von Speerträgern, Schützen, Schildknappen, Söldner aus Österreich und Mähren, bewaffnete Bürger aus Olmütz, fiel den Hussiten in die Hände und wurde von ihnen geschlagen, schrecklich geschlagen, über zwei Meilen hinweg, vom Dorf Habry bis auf die Felder vor Deutsch-Brod. So dass der Schnee sich rot färbte.«
    »Und Ihr? Was ist mit Euch . . .«
    »Ich bin nicht mit den königlichen Rittern geflohen, ich bin auch dann nicht geflohen, als sich Pippo Spano und Johann von Hardegg zur Flucht wandten, und sie, das muss man zu ihrer Ehrenrettung sagen, flohen mit als Letzte und nicht kampflos. Ich habe auch gekämpft, allen Lügen zum Trotz, ich habe gekämpft, und zwar hart. Gesandter hin oder her, ich musste kämpfen. Und ich kämpfte nicht allein, um mich herum waren ein paar Polen und etliche mährische Junker. Die nicht fliehen wollten, besonders nicht durchs eiskalte Wasser. So haben wir uns also geschlagen, und ich sage nur eins, mehr alseine böhmische Mutter weint jetzt meinethalben. Aber
nec Hercules . . .
«
    Die Knechte hatten, wie sich zeigen sollte, nicht geschlafen. Einer von ihnen sprang plötzlich auf, als hätte ihn eine Schlange gebissen, ein Zweiter rief etwas mit gedämpfter Stimme, ein Dritter zog klirrend sein Schwert. Der Knappe Wojciech griff nach dem Bogen. Die scharfe Stimme und eine herrische Geste Zawiszas hielt sie alle zurück.
    Aus der Dunkelheit kam etwas hervor.
    Im ersten Augenblick dachten sie, es sei ein Teil, ein Knäuel, jener Dunkelheit, noch dunkler als sie selbst, ein rundliches Teil jener undurchdringlichen Finsternis, das sich mit anthrazitfarbener Schwärze in den hellen Blitzen des Feuers wie ein flackerndes Dämmern der Nacht abzeichnete. Als die Flamme plötzlich höherschoss und lebhafter und heller leuchtete, nahm dieser Klumpen Dunkelheit Form an, ohne auch nur etwas von seiner Schwärze zu verlieren. Und Gestalt. Eine kleine, gedrungene, bauchige Gestalt, die teils an einen Vogel mit gesträubtem Gefieder, teils an ein Tier mit gesträubtem Fell erinnerte. Den aus den Schultern ragenden Kopf zierte ein Paar große, spitze Ohren, die wie bei einer Katze senkrecht und unbeweglich emporstanden.
    Wojciech legte langsam seinen Bogen beiseite, ohne jedoch das Geschöpf aus den Augen zu lassen. Einer der Knechte rief die heilige Kunigunde an, aber auch ihn brachte eine Geste Zawiszas zum Schweigen, eine Geste, die zwar nicht heftig war, aber Macht und Autorität ausdrückte.
    »Sei gegrüßt, du Ankömmling«, sprach mit beeindruckender Ruhe der Ritter von Garbowo. »Lass dich ohne Furcht an unserem Feuer nieder.«
    Das Geschöpf bewegte den Kopf. Reynevan nahm flüchtig ein Blitzen in den großen Augen wahr, die rot ins Feuer blickten.
    »Setz dich furchtlos zu uns«, wiederholte Zawisza seine Einladung mit

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