Narrenturm - Roman
freundlicher, aber fester Stimme. »Du brauchst keine Angst vor uns zu haben.«
»Ich habe keine Angst«, ließ sich das Geschöpf heiser vernehmen. Und zu aller Verwunderung. Das Geschöpf streckte die Hand aus. Reynevan wäre beinahe aufgesprungen, aber er fürchtete sich zu sehr, als dass er sich hätte bewegen können. Und plötzlich nahm er verwundert wahr, dass die Hand auf das Wappen auf Zawiszas Schild wies. Und dann, zu seiner noch größeren Verwunderung, zeigte das Geschöpf auf das Kesselchen mit dem Kräuteraufguss.
»Sulima und ein Kräuterkundler«, krächzte das Geschöpf. Aufrichtigkeit und Wissen. »Was soll ich mich da fürchten? Ich fürchte mich nicht. Mein Name ist Hans Mein Igel.«
»Sei uns gegrüßt, Hans Mein Igel. Bist du hungrig? Oder durstig?«
»Nein. Nur sitzen. Und lauschen. Hören, wie sie sprechen. Und kommen zu lauschen.«
»Sei unser Gast.«
Das Geschöpf rückte näher an das Feuer heran, rollte sich zu einer Kugel zusammen und erstarrte.
»Jaaa.« Zawisza beeindruckte abermals alle durch seine Ruhe. »Wo war ich doch stehen geblieben?«
»Dabei . . .«, Reynevan schluckte und fand seine Sprache wieder, »dabei, dass
nec Hercules . . .
«
»Ja, richtig«, krächzte Hans Mein Igel.
»Ja, so war es«, sagte der Sulimer ohne Umschweife. »
Nec Hercules,
sie haben uns besiegt. Sie waren ein ganzer Haufen, die Hussiten, meine ich. Und wir hatten noch Glück, dass sich die Reiterei Žižkas auf uns warf. Die taboritischen Bauernflegel kennen nämlich solche Worte wie »Pardon« oder »Lösegeld« nicht. Als sie mich schließlich aus dem Sattel zogen, rief einer von denen, die bei mir geblieben waren, Mertwicz oder Rarowski, ihnen zu, wer ich sei. Dass ich mit Žižka und Jan Sokol von Lamberk bei Grunwald gewesen war.«
Reynevan seufzte leise vor sich hin, als er diese berühmten Namen hörte.
Zawisza schwieg lange.
»Den Rest müsstet ihr kennen«, sagte er schließlich, »denn der Rest unterscheidet sich wohl kaum von den Legenden.«
Reynevan und Hans Mein Igel nickten stumm. Es dauerte lange, bis der Ritter erneut das Wort ergriff.
»Jetzt«, sagte er, »sehe ich das so, als hätte ich auf meine alten Tage einen Bann auf mich gezogen. Als sie mich aus der Gefangenschaft losgekauft hatten und ich nach Krakau zurückkam, habe ich alles, was ich damals am Dreikönigstag bei Deutsch-Brod und am übernächsten Tag bei der Erstürmung der Stadt gesehen habe, König Władisław erzählt. Ich habe ihm keine Ratschläge erteilt, ich habe mich nicht vorgedrängt mit meinem Rat und meiner Meinung, ich war nicht aufdringlich mit meiner Einschätzung. Ich habe ganz einfach berichtet, und er, der alte, listige Litauer hat zugehört. Und verstanden. Und nie, mein Junge, dessen sei gewiss, und sollte auch der Papst die Schleusen öffnen über dem bedrohten Glauben und der Luxemburger toben und drohen, nie wird der alte, listige Litauer polnische und litauische Ritter nach Böhmen entsenden. Und nicht etwa aus Wut auf den Luxemburger wegen des Breslauer Urteils, oder wegen der Teilungspläne von Pressburg, keineswegs, sondern allein meines Berichtes wegen. Und der einzig richtigen Schlussfolgerung daraus, dass die polnische und die litauische Ritterschaft gegen die Deutschordensritter gebraucht wird, und dass es dumm wäre, sie in der Sázava oder in der Elbe zu ertränken. Jagiełło wird sich, nachdem er meine Erzählung gehört hat, nie an einem antihussitischen Kreuzzug beteiligen. Auf meine Veranlassung, wie gesagt. Deswegen ziehe ich zur Donau, gegen die Türken, bevor sie mich exkommunizieren.«
»Ihr scherzt«, stammelte Reynevan. »Wie sollte man Euch . . . Wie denn exkommunizieren? Einen solchen Ritter wie Euch . . .? Ihr beliebt zu scherzen.«
»Gewiss.« Zawisza nickte. »Gewiss beliebe ich. Aber die Furcht ist da.«
Ein Weilchen schwiegen alle. Hans Mein Igel seufzte still. Die Pferde schnaubten unruhig in der Dunkelheit.
»Sollte dies das Ende des Rittertums bedeuten«, wagte Reynevan zu fragen, »und das Ende der Ritterlichkeit? Das Fußvolk, einig und geschlossen, Schulter an Schulter, nicht genug, dass es den gepanzerten Reitern in nichts nachsteht, sollte in der Lage sein, sie zu bezwingen? Die Schotten bei Bannockburn, die Flamen bei Courtrai, die Schweizer bei Sempach und Morgarten, die Engländer bei Azincourt, die Böhmen bei Vítkov und Vyšhehrad, bei Sudoměr und Deutsch-Brod . . . Vielleicht ist dies das Ende . . . einer Epoche? Vielleicht geht die Zeit
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