Narrenturm - Roman
des Rittertums zu Ende?«
»Ein Krieg ohne Rittertum und Ritterlichkeit«, sagte Zawisza der Schwarze nach längerem Schweigen, »muss schließlich zu gemeinem Mord werden. Und in der letzten Konsequenz zum Völkermord. An so etwas möchte ich keinen Anteil haben. Aber dazu kommt es nicht so schnell, ich denke, ich werde es wohl nicht mehr erleben. Unter uns gesagt, ich möchte es gar nicht erleben.«
Lange Zeit herrschte Stille. Das Feuer war am Erlöschen, die Lichtung färbte sich rubinrot, und von Zeit zu Zeit flackerte ein bläuliches Flämmchen auf oder ein Funkenhagel zerstob. Einer der Knechte schnarchte. Zawisza rieb mit der Hand die Stirn. Hans Mein Igel, dunkel wie ein schwarzes Knäuel, bewegte die Ohren. Als sich der Feuerschein erneut in seinen Augen spiegelte, bemerkte Reynevan, dass das Wesen ihn ansah.
»Die Liebe hat viele Namen«, ließ sich Hans Mein Igel plötzlich vernehmen. »Und dir, junger Kräuterarzt, hat sie das Leben vorbestimmt. Sie wird dir das Leben retten, und du wirst nicht einmal wissen, dass sie es war. Denn die Göttin hat viele Namen. Und noch mehr Gesichter.«
Reynevan schwieg verblüfft. Derjenige, der darauf reagierte, war Zawisza.
»Hört, hört!«, sagte er, halb im Scherz. »Eine Weissagung. Wie jede schwer zu verstehen, wie jede passt sie zu allem und jedem. Ohne dir nahe treten zu wollen, Herr Hans. Und für mich? Hast du auch eine für mich?«
Hans Mein Igel bewegte den Kopf und die Ohren.
»Am großen Fluss«, sagte er schließlich mit undeutlicher, heiserer Stimme, »steht oben auf dem Berg eine Burg, und Wasser umströmt sie. Sie heißt: die Taubenburg. Ein böser Ort. Reite nicht dorthin, Sulima. Ein böser Ort für dich. Die Taubenburg. Reite nicht dorthin. Kehre um.«
Zawisza schwieg lange, die Verwunderung war ihm deutlich anzusehen Er schwieg so lange, dass Reynevan dachte, er erwidere mit diesem wunderlichen Schweigen die wunderlichen Worte des seltsamen nächtlichen Wesens. Er täuschte sich.
»Ich bin ein Mann des Schwertes«, sagte Zawisza schließlich und beendete damit das Schweigen. »Ich weiß, was mich erwartet. Ich kenne mein Geschick. Ich kenne es seit fast vierzig Jahren, seit dem Moment, wo ich das Schwert erstmals zur Hand nahm. Aber ich blicke nicht zurück. Ich blicke nicht zurück auf die Hundsfelder und die Hundsgräber, die mein Pferd hinter sich lässt, den Verrat des Königs, die Gemeinheit, die Kleinmütigkeit und die Gottlosigkeit des Geistes. Ich werde auf dem eingeschlagenen Weg nicht umkehren, werter Hans Mein Igel.«
Hans Mein Igel sagte kein Wort, aber seine großen Augen blitzten.
»Trotzdem hätte ich mir gewünscht«, Zawisza der Schwarze rieb sich die Stirn, »du hättest mir wie Reynevan die Liebe prophezeit und nicht den Tod.«
»Ich hätte es mir auch gewünscht«, sagte Hans Mein Igel. »Lebt wohl.«
Das Wesen wurde plötzlich größer, sträubte heftig sein Fell und verschwand. Es ging ein in die Dunkelheit, aus der es hervorgekommen war.
Die Pferde schnaubten und stampften im Dunkeln auf. Die Knechte schnarchten. Der Himmel wurde heller, die Sterne verblassten über den Wipfeln der Bäume.
»Unglaublich«, sagte Reynevan schließlich, »das war unglaublich.«
Der Sulimer hob den Kopf, aus einem Nickerchen erwacht.
»Was? Was war unglaublich?«
»Dieser . . . Hans Mein Igel. Wisst Ihr, Herr Zawisza, ich . . . Na, ich muss zugeben . . . Ich war voller Bewunderung für Euch.«
»Warum?«
»Als er aus dem Dunkel aufgetaucht ist, habt Ihr Euch nicht mal bewegt. Eure Stimme hat nicht geschwankt. Und wie Ihr dann mit ihm geredet habt, bewunderungswürdig . . . Denn das war doch . . . ein Nachtgespenst. Nicht menschlich . . . Fremd.«
Zawisza der Schwarze blickte ihn lange an.
»Ich kenne viele Leute . . .«, sagte er schließlich gedehnt. »Und viele Leute werden mir immer fremder.«
Die Morgendämmerung war neblig und feucht, die Tautropfen hingen wie Girlanden in den Spinnennetzen. Der Wald war still, aber gefährlich wie eine schlafende Bestie. Die Pferde wichen dem herankriechenden, sich ausbreitenden Dunst aus, schnaubten und schüttelten die Mähnen.
Hinter dem Wald, an der Weggabelung, stand ein Steinkreuz. Zeichen eines Verbrechens, wie sie in Schlesien häufig zu finden sind. Und einer späten Sühne.
»Hier trennen wir uns«, sagte Reynevan.
Der Sulimer blickte ihn an, enthielt sich aber jeglichen Kommentars.
»Hier trennen wir uns«, wiederholte der Junge. »Genau wie Ihr, mag auch ich
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